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BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16

1. Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt.

2. Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Menschen, die nicht in der Lage sind, ihre Existenz selbst zu sichern und die deshalb staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, abverlangen, selbst zumutbar an der Vermeidung oder Überwindung der eigenen Bedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Er darf sich auch dafür entscheiden, insoweit verhältnismäßige Pflichten mit wiederum verhältnismäßigen Sanktionen durchzusetzen.

3. Wird eine Mitwirkungspflicht zur Überwindung der eigenen Bedürftigkeit ohne wichtigen Grund nicht erfüllt und sanktioniert der Gesetzgeber das durch den vorübergehenden Entzug existenzsichernder Leistungen, schafft er eine außerordentliche Belastung. Dies unterliegt strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit; der sonst weite Einschätzungsspielraum zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates ist hier beschränkt. Prognosen zu den Wirkungen solcher Regelungen müssen hinreichend verlässlich sein; je länger die Regelungen in Kraft sind und der Gesetzgeber damit in der Lage ist, fundierte Einschätzungen zu erlangen, umso weniger genügt es, sich auf plausible Annahmen zu stützen. Zudem muss es den Betroffenen tatsächlich möglich sein, die Minderung existenzsichernder Leistungen durch eigenes Verhalten abzuwenden; es muss also in ihrer eigenen Verantwortung liegen, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten.

Tenor

1. § 31a Absatz 1 Sätze 1, 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453) sowie der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Mai 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 850), geändert durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2854), geändert durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (Bundesgesetzblatt I Seite 1824), ist für Fälle des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der genannten Fassung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar, soweit die Höhe der Leistungsminderung bei einer erneuten Verletzung einer Pflicht nach § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch die Höhe von 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt, soweit eine Sanktion nach § 31a Absatz 1 Sätze 1 bis 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch zwingend zu verhängen ist, auch wenn außergewöhnliche Härten vorliegen, und soweit § 31b Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch für alle Leistungsminderungen ungeachtet der Erfüllung einer Mitwirkungspflicht oder der Bereitschaft dazu eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt.

2. Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung durch den Gesetzgeber sind § 31a Absatz 1 Sätze 1, 2 und 3 und § 31b Absatz 1 Satz 3 in Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch in der Fassung folgender Übergangsregelungen weiter anwendbar:

a. § 31a Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Leistungsminderung wegen einer Pflichtverletzung nach § 31 Absatz 1 SGB II nicht erfolgen muss, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Insbesondere kann von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.

b. § 31a Absatz 1 Sätze 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch sind in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit der Maßgabe anwendbar, dass wegen wiederholter Pflichtverletzungen eine Minderung der Regelbedarfsleistungen nicht über 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen darf. Von einer Leistungsminderung kann abgesehen werden, wenn dies im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Insbesondere kann von einer Minderung abgesehen werden, wenn nach Einschätzung der Behörde die Zwecke des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt.

§ 31b Absatz 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist in den Fällen des § 31 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit folgender Maßgabe anzuwenden: Wird die Mitwirkungspflicht erfüllt oder erklären sich Leistungsberechtigte nachträglich ernsthaft und nachhaltig bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann die zuständige Behörde unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ab diesem Zeitpunkt die Leistung wieder in vollem Umfang erbringen. Die Minderung darf ab diesem Zeitpunkt nicht länger als einen Monat andauern.

Gründe

A.

Das Vorlageverfahren betrifft die Frage, ob die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund der Verletzung der in § 31 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) normierten Mitwirkungsanforderungen nach § 31a Abs. 1, § 31b SGB II bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

I.

Das Zweite Buch Sozialgesetzbuch regelt seit dem 1. Januar 2005 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Grundsicherung für Erwerbsfähige und diejenigen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, mit der Bedarfe abgedeckt werden, die der Gesetzgeber anerkannt hat, um eine menschenwürdige Existenz zu sichern. Der Leistungsgewährung liegt das in §§ 1 und 2 SGB II verankerte Konzept des „Förderns und Forderns“ zugrunde, zu dem bestimmte Mitwirkungsanforderungen an erwerbsfähige Leistungsberechtigte gehören, deren Verletzung durch Leistungsminderungen sanktioniert wird.

Die hier zu überprüfenden Regelungen wurden sodann im Jahr 2006 beschlossen und zum 1. April 2011 neu geordnet (Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I S. 453). Sie wurden im Jahr 2016 lediglich redaktionell verändert und es wurde in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Verweis auf § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II eingefügt (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl I S. 1824). Nunmehr finden sich in § 31 Abs. 1 SGB II die hier entscheidungserheblichen Tatbestände der Verletzung der Mitwirkungsanforderungen, in § 31a SGB II die leistungsmindernden Rechtsfolgen und in § 31b SGB II deren Beginn und Dauer.

1. Sanktionierte Verhaltenspflichten gab es im Sozialrecht schon in der Weimarer Zeit, in der Zeit des Nationalsozialismus und unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes. Sie richteten sich zunächst gegen „Arbeitsscheu“ und boten später dem NS-Regime eine Grundlage für willkürliche Verfolgung. Die nach 1945 bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch weiter geltenden Regelungen wurden von den Gerichten allerdings enger ausgelegt.

a) Die Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 (RGBl I S. 100) ermöglichte in § 19 eine Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit; § 20 der Reichsverordnung gab vor, dass in einer Anstalt unterzubringen sei, wer zwar arbeitsfähig war, aber infolge eines „sittlichen Verschuldens“ selbst der öffentlichen Fürsorge anheimfiel oder Unterhaltsberechtigte dieser aussetzte, indem er beharrlich Arbeit ablehnte oder sich der Unterhaltspflicht entzog.

In den Reichsgrundsätzen über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember 1924 (RGBl I S. 765 f.) normierte § 5 den Nachranggrundsatz: Hilfsbedürftig war danach nur, „wer den notwendigen Lebensbedarf für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen, erhält“. Nach § 13 der Reichsgrundsätze waren in Fällen der „Arbeitsscheu“ und des „offenbar unwirtschaftlichen Verhaltens“ die Voraussetzungen der Hilfebedürftigkeit „aufs Strengste zu prüfen sowie Art und Maß der Fürsorge auf das zur Fristung des Lebens Unerlässliche zu beschränken“. Dies galt auch, wenn Hilfsbedürftige berechtigten Anordnungen der zuständigen Stellen „beharrlich zuwiderhandelten“.

Auf Grundlage der §§ 19, 20 der Reichsverordnung und § 13 der Reichsgrundsätze praktizierten dann ab 1933 zahlreiche Städte die Internierung in bereits existierenden Arbeitshäusern oder, als „Arbeitsscheue“, in speziellen „Lagern für geschlossene Fürsorge“, die später als Konzentrationslager betrieben wurden (Rudloff, in: Hockerts, Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit, 1998, S. 191 <200 f. m.w.N.>; Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, 2003, S. 188 f.).

b) Das nach der Verordnung zur Vereinfachung des Fürsorgerechts vom 7. Oktober 1939 (RGBl I S. 2002) geltende Recht und die mehrfach geänderte Reichsverordnung sowie die Reichsgrundsätze galten dann bis zum Inkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG; BGBl I 1961 S. 815) weiter. Dieses übernahm in §§ 25, 26 BSHG bis 1974 den Leitbegriff der „Arbeitsscheu“ (Unterabschnitt 4: Folgen bei Arbeitsscheu und unwirtschaftlichem Verhalten; BTDrucks 3/1799, S. 42 f. zu §§ 23, 24); keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt hatte nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BSHG, wer sich weigerte, zumutbare Arbeit zu leisten. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Sozialhilfegesetzes vom 25. März 1974 (BGBl I S. 777) regelte den „Ausschluss des Anspruchs auf Hilfe und Einschränkung der Hilfe“ und hob § 26 BSHG zur Unterbringung in Arbeitseinrichtungen wegen „beharrlicher“ Weigerung zumutbarer Arbeit auf. Ab dem 1. August 1996 sah § 25 Abs. 1 Satz 2 BSHG vor, in solchen Fällen zunächst mindestens 25 % des maßgebenden Regelsatzes zu kürzen. Das Bundessozialhilfegesetz ermöglichte es auch von Anfang an, Hilfe zum Lebensunterhalt auf das „Unerlässliche“ zu beschränken, wenn gezielt Vermögen vermindert wurde, um Leistungen zu erlangen, oder trotz Belehrung unwirtschaftliches Verhalten fortgesetzt wurde; desgleichen konnten Leistungen gemindert werden, wenn ohne wichtigen Grund die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verschuldet wurde oder Qualifizierungsmaßnahmen verweigert oder abgebrochen wurden.

Das Bundesverwaltungsgericht legte diese Regelungen allerdings eng aus. Fehlende eigene Bemühungen um Arbeit rechtfertigten nur dann Absenkungen, wenn solche Bemühungen persönlich und finanziell zumutbar waren und nach der (örtlichen oder regionalen) Arbeitsmarktlage auch konkrete Erfolgsaussichten gehabt hätten (vgl. BVerwGE 98, 203 <206>). Der Sozialhilfeträger musste zwingend prüfen, ob Hilfesuchende mit der eigenen Arbeitssuche überfordert wären. Es lag jedoch keine Weigerung vor, wenn diese zwar noch intensiver hätte ausfallen können, die Betroffenen sich aber ernsthaft und zielstrebig um einen Arbeitsplatz bemühten. Zudem durfte nur sanktioniert werden, was die Betroffenen auch zu vertreten hatten (vgl. Schellhorn/Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, § 25 Rn. 2), und dies hatte der Sozialhilfeträger zu beweisen (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 19. August 2002 – Au 9 S 02.1026 -, juris; VG Karlsruhe, Urteil vom 13. Juli 2001 – 8 K 2533/98 -, juris, m.w.N.).

c) Auch heute gilt in der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII), dass nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB XII Leistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche beschränkt werden sollen, wenn erwachsene Leistungsberechtigte ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen (Nr. 1), oder ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen (Nr. 2). Zudem werden Leistungsberechtigte sanktioniert, die entgegen ihrer Verpflichtung ablehnen, eine Tätigkeit aufzunehmen oder an einer erforderlichen Vorbereitung teilzunehmen; dann wird der maßgebende Regelbedarf nach § 39a Abs. 1 SGB XII zunächst um bis zu 25 %, bei wiederholter Ablehnung in weiteren Stufen um jeweils bis zu 25 % gemindert. Unterhaltsberechtigte Angehörige oder andere mit den Betroffenen in Haushaltsgemeinschaft lebende Leistungsberechtigte sollen nach § 39a Abs. 2 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 Satz 2 SGB XII durch die Einschränkung der Leistung nicht getroffen werden. Die Regelung des § 1a Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz in der vom 6. August 2016 bis 20. August 2019 geltenden Fassung (im Folgenden: AsylbLG a.F.) begrenzt eine Kürzung von Leistungen auf das „im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar“ Gebotene.

2. Der Gesetzgeber hat die Grundsicherung mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I S. 2954) zum 1. Januar 2005 im Rahmen einer breit angelegten Reform neu gefasst, das landläufig als „Hartz-IV“-Gesetz bezeichnet wird. Im Vordergrund steht nun mit dem ersten Kapitel – nach §§ 1, 2 SGB II – der „Grundsatz des Förderns und Forderns“ (vgl. BTDrucks 15/1516 vom 5. September 2003). Mit den hier zur Überprüfung vorgelegten Regelungen der §§ 31, 31a, 31b SGB II schuf der Gesetzgeber Mitwirkungspflichten insbesondere mit dem Ziel der Aufnahme einer Erwerbsarbeit, die mit zwischenzeitlich verschärften, zwingend zu verhängenden und starr andauernden Sanktionen einer Minderung oder des gesamten Wegfalls von Leistungen durchgesetzt werden.

a) Zunächst wurde als Sanktion eine Minderung von Leistungen um 30 % des Regelbedarfs vorgegeben, die sich bei mehrfachen Pflichtverletzungen vervielfachen konnte. Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) wurde dies geändert; nach § 31 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB II a.F. wurden Regelbedarfsleistungen bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB II nun um 60 % gemindert, bei einer weiteren Pflichtverletzung fiel das Arbeitslosengeld II völlig weg.

b) Diese Regeln wurden zum 1. April 2011 neu geordnet (Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl I S. 453). § 31 SGB II regelt seitdem die Tatbestände der Verletzung einer Mitwirkungsanforderung, § 31a SGB II legt die leistungsmindernden Rechtsfolgen fest und § 31b SGB II deren Beginn und Dauer. Die hier nicht zu überprüfenden Leistungsminderungen bei Meldeversäumnissen finden sich in § 32 SGB II.

3. § 31 Abs. 1 SGB II lautet in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen, seit 1. April 2012 (Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, BGBl I S. 2854) geltenden Fassung, die 2016 nur redaktionell geändert wurde (oben Rn. 3):

§ 31 Pflichtverletzungen

(1) 1 Erwerbsfähige Leistungsberechtigte verletzen ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis

1. sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Absatz 1 Satz 6 festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen,

2. sich weigern, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d oder ein nach § 16e gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern,

3. eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

2 Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.

(2) …

Die relevanten Regelungen in §§ 31a, 31b SGB II lauten in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13. Mai 2011 (BGBl I S. 850):

§ 31a Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen

(1) 1 Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 % des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. 2 Bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 % des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. 3 Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 entfällt das Arbeitslosengeld II vollständig. 4 Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. 5 Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. 6 Erklären sich erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachträglich bereit, ihren Pflichten nachzukommen, kann der zuständige Träger die Minderung der Leistungen nach Satz 3 ab diesem Zeitpunkt auf 60 % des für sie nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs begrenzen.

(2) …

(3) 1 Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs kann der Träger auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. 2 Der Träger hat Leistungen nach Satz 1 zu erbringen, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. 3 Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II um mindestens 60 % des für den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs soll das Arbeitslosengeld II, soweit es für den Bedarf für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 erbracht wird, an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden.

(4) …

§ 31b Beginn und Dauer der Minderung

(1) 1 Der Auszahlungsanspruch mindert sich mit Beginn des Kalendermonats, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der die Pflichtverletzung und den Umfang der Minderung der Leistung feststellt. 2 In den Fällen des § 31 Absatz 2 Nummer 3 tritt die Minderung mit Beginn der Sperrzeit oder mit dem Erlöschen des Anspruchs nach dem Dritten Buch ein. 3 Der Minderungszeitraum beträgt drei Monate. 4 … 5 Die Feststellung der Minderung ist nur innerhalb von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung zulässig.

(2) Während der Minderung des Auszahlungsanspruchs besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches.

4. Die Vorgaben zu gemäß §§ 31a, 31b SGB II sanktionierten Mitwirkungsanforderungen nach § 31 Abs. 1 SGB II richten sich an erwerbsfähige, nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch leistungsberechtigte Personen. Dazu gehören nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenzen von § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, die erwerbsfähig im Sinne von § 8 SGB II und hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Wer nicht erwerbsfähig ist und nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Erwerbsfähigen lebt, hat grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch. Die zu überprüfenden Regelungen folgen dem Nachranggrundsatz (a) und statuieren bestimmte Verhaltenspflichten (b), deren Verletzung mit gestuften Leistungsminderungen sanktioniert wird (c).

a) Der Gesetzgeber hat sich im System der Grundsicherung entschieden, erwerbsfähigen Menschen und denjenigen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, staatliche Leistungen wie schon nach früherem Recht (oben Rn. 6) nachrangig zu gewähren. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II nur, „wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält“. Ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form des Arbeitslosengeldes II nach § 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II besteht folglich nur, wenn und soweit der Lebensunterhalt nicht selbst gedeckt werden kann.

b) Mit dem Nachranggrundsatz und dem Konzept des „Förderns und Forderns“ verbindet der Gesetzgeber eine aktive Pflicht zur Mitwirkung, um wieder Einkommen zu erlangen. Dazu sind in § 31 Abs. 1 SGB II Mitwirkungspflichten zur Rückkehr in Erwerbsarbeit normiert; in § 31 Abs. 2 SGB II finden sich weitere Verhaltenspflichten und in § 32 SGB II sind Meldepflichten und Pflichten zur Teilnahme an bestimmten Untersuchungen geregelt. Vorgaben zur Zumutbarkeit der Mitwirkung finden sich insbesondere in § 10 SGB II. Die Mitwirkungspflicht ist nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II zudem nicht verletzt, wenn ein wichtiger Grund für dieses Verhalten vorliegt.

aa) Die Mitwirkungsanforderungen des § 31 Abs. 1 SGB II konkretisieren den Grundsatz des Forderns aus § 2 SGB II, wonach Hilfebedürftige zunächst alles unternehmen müssen, um ihre Existenz durch den Einsatz eigener Arbeitskraft selbst zu sichern (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 60; 17/3404, S. 110). Der Gesetzgeber hat drei Fallgruppen gebildet.

(1) Auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II wird gemäß § 31a Abs. 1 SGB II die Weigerung sanktioniert, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen. Eine Eingliederungsvereinbarung soll nach § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der damals geltenden Fassung bestimmen, welche Leistungen Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhalten (Nr. 1), welche Eingliederungsbemühungen sie wie oft mindestens unternehmen müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind (Nr. 2), und welche weiteren Leistungen Dritter sie beantragen müssen (Nr. 3). Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden kann (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011); ist er rechtswidrig, kann er eine Sanktion nach § 31a SGB II nicht rechtfertigen (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 29. September 2006 – L 9 AS 179/06 ER -, juris, Rn. 8; Berlit, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 31 Rn. 19). Insbesondere müssen die Pflichten klar und eindeutig bestimmt sein (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Februar 2007 – L 28 B 166/07 AS ER -, juris).

(2) Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II gilt als Pflichtverletzung die Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II oder ein nach § 16e SGB II gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen sowie deren Anbahnung zu verhindern. Als Arbeit gelten jedenfalls Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisse und geringfügige Tätigkeiten; ob auch selbstständige Tätigkeit erfasst wird, ist streitig (dafür Adolph, SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand 1. Januar 2012, § 31 Rn. 24; dagegen Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 59; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, März 2018, § 31 Rn. 79). Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II sind zusätzlich verrichtete Arbeiten, die im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind. Ein gefördertes Arbeitsverhältnis nach § 16e SGB II dient der Eingliederung von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen mit Vermittlungshemmnissen, für die Arbeitgeber einen Beschäftigungszuschuss als Ausgleich der zu erwartenden Minderleistung und einen sonstigen Zuschuss erhalten.

(3) Nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB II gilt als Pflichtverletzung, wenn Leistungsberechtigte eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit nach §§ 16 ff. SGB II (vgl. Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 93) nicht antreten, abbrechen oder Anlass für den Abbruch gegeben haben.

bb) Nach dem Wortlaut von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SGB II darf – wie auch im Fall der allgemeinen sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I, der hier ergänzend anwendbar ist (vgl. BSGE 101, 260 <261 Rn. 13>) – nur eine Mitwirkung verlangt werden, die zumutbar ist. Hinsichtlich der Pflicht, an der Eingliederung in Arbeit mitzuwirken (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), ist das in § 10 SGB II näher geregelt. Nach § 10 Abs. 1 SGB II ist eine Arbeit oder Maßnahme zur Integration in Arbeit nicht zumutbar, wenn körperliche, geistige oder seelische Gründe entgegenstehen (Nr. 1). Nicht zumutbar ist eine Mitwirkungspflicht auch, wenn eine bisherige körperlich besonders fordernde Arbeit durch die Aufnahme der neuen, im Rahmen der Mitwirkung angebotenen Beschäftigung wesentlich erschwert würde (Nr. 2). Das gilt zudem, wenn Kinder (Nr. 3) oder Angehörige (Nr. 4) nicht mehr versorgt werden könnten oder ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht (Nr. 5). Umgekehrt ist nach § 10 Abs. 2 SGB II zumutbar, „schlechtere“ Tätigkeiten zu übernehmen, die der Ausbildung oder früheren Tätigkeit nicht entsprechen (Nr. 1), geringerwertig erscheinen (Nr. 2), weiter entfernt auszuüben sind (Nr. 3) oder zu schlechteren Bedingungen (Nr. 4), oder eine andere, zur Existenzsicherung unzureichende Erwerbstätigkeit beendet werden muss, wenn nicht die Annahme begründet ist, dass durch die bisherige Erwerbstätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann (Nr. 5).

Damit besteht hier für erwerbsfähige Hilfebedürftige kein Ausbildungs- und Berufsschutz (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, Dezember 2015, § 10 Rn. 126; Hackethal, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 10 Rn. 21, 31), anders als in der Arbeitslosenversicherung, wo ein Restberufsschutz nicht die Art der Tätigkeit, aber die Höhe des Arbeitsentgeltes nach § 140 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) sichert.

cc) Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II liegt keine Verletzung einer Mitwirkungspflicht vor, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen „wichtigen Grund“ für ihr Verhalten darlegen und nachweisen. Damit sollen – wie im Recht der Sperrzeiten (§ 159 SGB III) – besondere Umstände erfasst werden, die rechtfertigen, dass die Mitwirkung unterblieben ist (vgl. Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31 Rn. 63 ff.; Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 103). Hierzu gibt es Fachliche Hinweise beziehungsweise Weisungen der Bundesagentur für Arbeit, die als Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der §§ 31 ff. SGB II durch diejenigen Jobcenter (§ 6d SGB II) gelten, die als gemeinsame Einrichtungen (§§ 6, 44b SGB II) der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers arbeiten, also nicht für die zugelassenen kommunalen Träger (§ 6a SGB II). Danach soll ein wichtiger Grund alles sein, was für die leistungsberechtigte Person unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung mit den Interessen der Allgemeinheit bei einer Leistung aus Steuermitteln besonderes Gewicht hat; ein wichtiger Grund liege objektiv vor, wenn die Einhaltung der auferlegten Pflicht für die Hilfebedürftigen nicht zumutbare Folgen hätte. Ein wichtiger Grund könne im Regelfall nur anerkannt werden, „wenn die leistungsberechtigte Person erfolglos einen zumutbaren Versuch unternommen hat, den Grund zu beseitigen, zu vermeiden oder ein solcher Versuch erfolglos geblieben wäre“. Es sei ein strenger Maßstab anzulegen und auch ein Irrtum nicht zu berücksichtigen (Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der Bundesagentur für Arbeit <BA>, Ziff. 31.17 Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017; zu den Verfahrensanforderungen unten Rn. 50 ff.).

dd) Vor der Feststellung einer Verletzung von Mitwirkungspflichten gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss über deren Rechtsfolgen belehrt worden sein, oder die Betroffenen müssen davon positive Kenntnis haben. Die Rechtsfolgenbelehrung hat eine auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung deutlich ausgearbeitete Warnfunktion: Sie muss zeitnah zu dem Verhalten erfolgen, das die Sanktion auslöst, und schriftlich das geforderte Verhalten konkret, richtig, vollständig und verständlich beschreiben (vgl. BSGE 105, 297 <301 Rn. 19>; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 4 AS 30/09 R -; stRspr). Es muss auch auf die Folgen wiederholter Pflichtverletzungen hingewiesen werden. Im Übrigen kann nach Auffassung der Bundesagentur für Arbeit von einer Kenntnis der Rechtsfolgen nur dann ausgegangen werden, wenn zeitnah bereits einmal eine Sanktion eintrat oder andere Umstände vorliegen, die als konkrete Anhaltspunkte zu dokumentieren sind (Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.14 f., Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017).

c) Wird eine zumutbare Mitwirkungsanforderung nach § 31 Abs. 1 SGB II ohne wichtigen Grund und trotz Rechtsfolgenbelehrung oder Kenntnis der Rechtsfolgen verletzt, muss dies nach § 31a Abs. 1 SGB II mit einer Minderung der Regelbedarfsleistungen bis hin zum vollständigen Wegfall des Arbeitslosengeldes II sanktioniert werden. Ab dem Monat, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes folgt, der dies feststellt (§ 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II), wird nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II über den Minderungszeitraum von drei Monaten zwingend eine geminderte oder überhaupt keine Geldleistung ausgezahlt. Das unterscheidet sich von den allgemeinen – und ergänzend auch im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (vgl. BSGE 101, 260 <261 Rn. 13>) geltenden – Regelungen zur Verletzung von Mitwirkungspflichten nach §§ 60 bis 62, 65 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I), wo nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I die Leistung ganz oder teilweise versagt oder entzogen werden kann, dies also nicht zwingend ist. Zudem werden danach nur Verletzungen von Pflichten sanktioniert, die sich auf den Nachweis der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch beziehen. Vergleichbare Vorgaben finden sich im Recht der Arbeitsförderung nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch. Dort ruht der Anspruch auf Leistungen gemäß § 159 Abs. 1 Satz 1 SGB III während einer Sperrzeit, wenn sich die leistungsberechtigte Person ohne wichtigen Grund versicherungswidrig verhält (vgl. § 159 Abs. 3 bis 6 SGB III); sie erhält dann vorübergehend weder Leistungen nach dem Dritten noch nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB II).

Der Gesetzgeber will durch die in §§ 31a, b SGB II vorgegebenen Sanktionen die Mitwirkung nach § 31 SGB II einfordern (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 47). Seit der Neufassung der einschlägigen Regelungen im Jahr 2011 sind in § 31a SGB II die Art und der Umfang der Minderung festgelegt: Der Gesetzgeber gibt prozentuale Minderungsstufen vor und unterscheidet zwischen unter und über 25-jährigen Leistungsberechtigten. In § 31b SGB II sind Beginn und Dauer der Minderung geregelt.

aa) Die Minderung nach § 31a Abs. 1 SGB II als Sanktion einer nicht erfüllten Mitwirkungsanforderung bezieht sich auf das Arbeitslosengeld II. Dieses setzt sich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II aus dem Regelbedarf (§ 20 SGB II), den Mehrbedarfen (§ 21 SGB II) und den tatsächlichen und angemessenen Kosten von Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II) zusammen, die erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten; zusätzlich können Dienst- und Sachleistungen sowie Vorschüsse, Zuschüsse und Darlehen für besondere Bedarfe gewährt werden.

Grundsätzlich wird die Regelbedarfsleistung nach § 20 SGB II pauschal gewährt; die Höhe legt der Gesetzgeber fest. Er ist nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet, die menschenwürdige Existenz jederzeit realistisch zu sichern, wenn Menschen dies selbst nicht können (grundlegend BVerfGE 125, 175 <224 f.>; 132, 134 <160 f. Rn. 67>; 142, 353 <370 Rn. 38>; dazu auch BTDrucks 17/6833, S. 2). Der Regelbedarf umfasst nach dem hier maßgeblichen § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Es wird nach dem Lebensalter und der Lebenssituation der Bedürftigen unterschieden. Die Höhe der Regelbedarfsleistung lag in dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für alleinstehende über 25-jährige Hilfebedürftige bei monatlich 391 Euro.

bb) Die Höhe der Minderung als Sanktion zur Durchsetzung einer Mitwirkungspflicht aus § 31 Abs. 1 SGB II ist in § 31a SGB II gestuft; dabei ist die Dauer für über 25-jährige Leistungsberechtigte in § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II starr vorgegeben (näher unten Rn. 40).

Die Minderungsstufen sind in der hier gegenständlichen Fassung des Gesetzes höher als zuvor (oben Rn. 12) und vom Gesetzgeber festgelegt. Nach § 32 SGB II wird die Verletzung einer Melde- oder Terminspflicht mit einer Minderung in geringerer Höhe (10 % des Regelbedarfs) sanktioniert, was allerdings im Wiederholungsfall addiert werden und nach § 32 Abs. 2 SGB II ausdrücklich mit der bereits höheren Minderung nach § 31a Abs. 1 SGB II zusammentreffen kann. Die Stufen in § 31a Abs. 1 SGB II unterscheiden sich auch von den Minderungsstufen in der Sozialhilfe, wo nach § 39a SGB XII Leistungen jeweils um bis zu 25 % gekürzt werden, wenn Bedürftige ablehnen, eine Tätigkeit aufzunehmen oder an einer Vorbereitung teilzunehmen, aber – anders als nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II – insbesondere die Kosten der Unterkunft und Heizung oder Mehrbedarfe stets weiter zu zahlen sind. Desgleichen werden nach § 1a Abs. 5 in Verbindung mit § 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG a.F. jedenfalls noch Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege erbracht.

(1) Verletzen über 25-jährige hilfebedürftige Erwerbsfähige eine in § 31 Abs. 1 SGB II benannte Mitwirkungspflicht, wird ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld II nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II zwingend um 30 % des für sie maßgebenden Regelbedarfs gemindert.

Diese Leistungsminderung um 30 % konnte – bis zum 31. Juli 2016 – mit anderen Verringerungen des Auszahlbetrages zusammentreffen, wenn beispielsweise ein Darlehen zurückgezahlt werden musste (§ 42a SGB II) oder mit Erstattungsansprüchen aufgerechnet wurde (§ 43 SGB II). Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II konnten nicht erbracht werden, denn diese Norm bezog sich nur auf Fälle, in denen Minderungen im Sinne von § 31 SGB II oder nach § 32 SGB II bereits für sich genommen, also ohne Hinzutreten von Leistungsminderungen nach §§ 42a, 43 SGB II, die Höhe von 30 % überstiegen. Dagegen wurde schon damals eingewandt, die Aufrechnung sei dann auszusetzen, weil Mittel zur Sicherung des Existenzminimums entzogen würden (Berlit, in: Münder, SGB II, 5. Aufl. 2013, § 31a Rn. 41; dazu auch Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Reform der Sanktionen im SGB II vom 11. Juni 2013, S. 14 f.). Andere plädierten dafür, die Aufrechnungsgrenze des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II analog anzuwenden (Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, Februar 2013, § 43 Rn. 134) oder das Ermessen in § 43 SGB II auf null zu reduzieren, die Leistungskürzungen also immer zwingend auf 30 % zu begrenzen (Kallert, in: Gagel, SGB II/SGB III, Juni 2017, § 43 SGB II Rn. 14).

Seit dem 1. August 2016 (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl I S. 1824 <1832>) ist nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB II für Zeiträume, in denen der Auszahlungsanspruch nach § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II um mindestens 30 % gemindert ist, keine Aufrechnung zulässig. Fällt die Minderung geringer aus, ist die Aufrechnung nach § 43 Abs. 3 Satz 2 SGB II auf die Differenz zwischen diesem Minderungsbetrag und 30 % des Regelbedarfs begrenzt. Daneben verweist § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II seitdem auf § 43 Abs. 3 SGB II, so dass ein Darlehen während einer Minderung nicht mehr getilgt wird, wenn die Leistungen ansonsten um mindestens 30 % verringert würden.

(2) Wird innerhalb eines Jahres nach Beginn des Minderungszeitraums (§ 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II) nochmals eine Mitwirkungspflicht nach § 31 SGB II verletzt, erhöht sich bei über 25-jährigen Leistungsberechtigten die Leistungsminderung nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II bei der ersten Wiederholung auf 60 %; es werden also nur 40 % des für sie maßgebenden Regelbedarfs ausgezahlt.

(3) Haben über 25-jährige Leistungsberechtigte innerhalb eines Jahres (§ 31a Abs. 1 Satz 5 SGB II) eine weitere wiederholte Pflichtverletzung zu verantworten, entfällt nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II das Arbeitslosengeld II vollständig. Diese Sanktion umfasst gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den gesamten Regelbedarf ebenso wie die Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie etwaige Mehrbedarfe nach § 21 SGB II für werdende Mütter (Abs. 2), Alleinerziehende (Abs. 3), für erwerbsfähige behinderte Menschen (Abs. 4), wegen kostenaufwendiger Ernährung (Abs. 5) und für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Abs. 7) sowie für Härtefälle (Abs. 6). Den Betroffenen wird im Minderungszeitraum kein Bargeld ausgezahlt.

Das unterscheidet sich von den Vorgaben im Asylbewerberleistungsgesetz. Dort sind zwar ebenfalls Leistungsminderungen vorgesehen, wenn Mitwirkungs- und Meldepflichten verletzt werden (zum Beispiel nach § 1a AsylbLG). Dann werden jedoch nach § 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG weiterhin Leistungen für Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie für Körper- und Gesundheitspflege erbracht. Mangels Übernahme der Kosten für die Unterkunft besteht dagegen hier das Risiko der Wohnungslosigkeit, da nach zwei Monaten des Rückstands mit Mietzahlungen die fristlose Kündigung ausgesprochen werden kann (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

Erfasst die Sanktion das gesamte Arbeitslosengeld II, erlischt der Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V). Dann entsteht in der Regel eine Auffang-Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, oder es besteht, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft (§§ 9, 188 Abs. 4 SGB V) oder einer Familienversicherung (§ 10 SGB V). Für die Auffangversicherung und die freiwillige Mitgliedschaft (nicht aber für die Familienversicherung) fallen Beiträge an; diese müssen die Betroffenen grundsätzlich selbst tragen (§ 250 Abs. 2, 3 SGB V), ohne in dieser Zeit Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu erhalten. Sie haben dann zwar im Fall der Hilfebedürftigkeit nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch oder Zwölftes Buch auch ohne Beitragszahlung einen Anspruch auf alle Behandlungsleistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (§ 16 Abs. 3a Satz 4 SGB V; vgl. BSG, Urteil vom 8. März 2016 – B 1 KR 31/15 R -, juris, Rn. 11 ff.). Doch laufen Beitragsschulden auf. Die Übernahme der Beiträge nach § 26 SGB II analog durch das Jobcenter ist umstritten (vgl. dafür Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31a Rn. 19a; Fachliche Weisungen der BA zu § 26 in der Fassung vom 20. März 2012 Rn. 26.14 und 17; dagegen jetzt Fachliche Weisungen zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsberechtigten von Arbeitslosengeld II in der Fassung vom 1. Januar 2016 Rn. 1.26 und in der Fassung vom 20. September 2017 Rn. 1.27).

cc) Bei über 25-jährigen Leistungsberechtigten hat der Gesetzgeber durch § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II die dreimonatige Dauer einer Minderung zur Sanktionierung einer Mitwirkungspflicht starr vorgegeben. Hier gibt es nicht die Möglichkeit, wie bei unter 25-Jährigen nach § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II die Minderung nachträglich auf sechs Wochen zu verkürzen, was dort im Ermessen steht, aber von Amts wegen auch ohne Antrag der Leistungsberechtigten zu prüfen ist (vgl. Berlit, in: Münder, LPK-SGB II, 6. Aufl. 2017, § 31b SGB II Rn. 14). Nach § 31a Abs.1 Satz 6 SGB II besteht für über 25-Jährige nur die Möglichkeit, die Minderung auf den Umfang der ersten wiederholten Pflichtverletzung und damit auf 60 % des maßgebenden Regelbedarfs zu begrenzen, wenn nachträglich die Bereitschaft erklärt wird, die Pflicht zu erfüllen. Sie müssen glaubhaft darlegen, dass sie gewillt sind, künftig ihre Obliegenheiten zu erfüllen (vgl. Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.34, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017); ob die Minderung dann begrenzt wird, steht im Ermessen der Behörde. Anders als nach § 67 SGB I und § 1a Abs. 5 Satz 2 AsylbLG besteht im Übrigen keine Möglichkeit, Leistungen nachträglich wieder zu erbringen, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird.

dd) Der Gesetzgeber hat darüber hinaus für die Leistungsminderung bei Verletzung einer Mitwirkungspflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II ab einer Höhe von 60 % begleitende Vorgaben gemacht, die unter bestimmten Bedingungen eine andere Auszahlung, ergänzende Leistungen oder Darlehen ermöglichen.

(1) Falls der Regelbedarf um mindestens 60 % gemindert wird, sollen die Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II gemäß § 31a Abs. 3 Satz 3 SGB II direkt an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden. Das soll je nach den Umständen des Einzelfalls die Unterkunft sichern, wenn die zweckentsprechende Verwendung der Mittel nicht sichergestellt ist (Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.54, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017). Zudem können die Abschläge für Stromzahlungen in nachgewiesener Höhe als Zuschuss direkt an die Energieversorger gezahlt werden, wenn aufgrund von Schulden die Abstellung des Stroms angekündigt ist (vgl. Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.49a, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017).

Für Alleinstehende besteht bei weiteren wiederholten Pflichtverletzungen allerdings das Risiko der Wohnungslosigkeit, da mangels Anspruchs auf Kosten der Unterkunft die Kündigung der Wohnung droht (oben Rn. 37 f.). Der Träger der Grundsicherungsleistungen kann zwar nach § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II durch ein Darlehen Mietschulden übernehmen, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Schulden sollen nach Satz 2 übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit droht (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 21. Dezember 2012 – L 11 AS 850/12 B ER -, juris). Jedoch müssen die Mietschulden nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits entstanden sein, also nicht nur künftig drohen, und sie werden nur übernommen, wenn die Wohnung so auch dauerhaft gesichert werden kann (dazu Blüggel/Wagner, NZS 2018, S. 677 <678 f.> m.w.N.). Ein Darlehen kann daher nicht schon bewilligt werden, wenn das Arbeitslosengeld II entfällt und aus Sicht der Betroffenen das Risiko des Wohnungsverlustes entsteht.

Durch ein Darlehen wird der Verlust der Leistungen auch nicht kompensiert, sondern zeitlich auf die Rückzahlung verlagert. Die Praxis variiert. So bejahen Sozialgerichte zwar einen Anspruch darauf, die Mietschulden ohne Rücksicht auf die Gründe und damit auch bei Sanktionen darlehensweise zu übernehmen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Mai 2018 – L 11 AS 356/18 B ER -, juris, Rn. 16 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13. März 2012 – L 2 AS 477/11 B ER -, juris, Rn. 28; für Stromschulden LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Juni 2013 – L 7 AS 765/13 B ER -, juris, Rn. 31). Doch werden Mietschulden in der Praxis nicht immer übernommen, wenn sie durch Sanktionen entstanden sind (vgl. Hammel, ZfF 2013, S. 151 <158>). Die Sozialgerichte verneinen zudem einen Anspruch auf Übernahme der Mietschulden, wenn solche Schulden wiederholt entstehen und kein Wille erkennbar ist, dies zu vermeiden (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2013 – L 19 AS 1501/13 B -, juris, Rn. 22; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 29. März 2012 – L 3 AS 28/12 B ER, L 3 AS 32/12 B PKH -, juris, Rn. 13).

Die Rechtsprechung ist Belastungen entgegengetreten, die aus dem Verlust der Kosten der Unterkunft für Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft entstehen. So hat das Bundessozialgericht entschieden, dass, wenn die Leistung mit der dritten Pflichtverletzung um 100 % gemindert wird und der Anspruch auf die Kosten der Unterkunft entfällt, in einer Bedarfsgemeinschaft vom sonst geltenden „Kopfteilprinzip“ abgewichen werden kann, womit höhere Leistungen an die weiteren Bedarfsgemeinschaftsmitglieder bewilligt werden können, um vor Wohnungslosigkeit zu schützen (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 50/13 R -, juris, Rn. 22).

(2) Werden die maßgebenden Regelbedarfsleistungen um mehr als 30 % gemindert, steht es nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II im Ermessen des Trägers, nun ergänzende Sachleistungen oder „geldwerte Leistungen“ in angemessenem Umfang zu erbringen. Ein Anspruch auf diese ergänzenden Leistungen besteht nach § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II nur, wenn Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern zusammenleben (vgl. Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.48, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017).

In der Praxis handelt es sich bei den ergänzenden Leistungen um Gutscheine, die teilweise auf bestimmte Verkaufsstellen und auf bestimmte Waren wie Lebensmittel und Hygieneartikel beschränkt sind (vgl. Fachliche Hinweise der BA, Ziff. 31.48, Stand 4. Mai 2017).

Der Gesetzgeber hat die Höhe der ergänzenden Leistungen nicht selbst bestimmt, aber in § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II vorgegeben, dass der Ausgleich „in angemessenem Umfang“ erfolgen soll. Nach den Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (Ziff. 31.52, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017) sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zu beachten. So sei zu berücksichtigen, ob sofort verwertbares Schonvermögen oder sonstige Einnahmen zur Verfügung stehen. Umgekehrt sei Verschuldungsproblemen zum Beispiel aufgrund von Beitragszahlungen für den Kranken- und Pflegeversicherungsschutz oder eine drohende Wohnungslosigkeit Rechnung zu tragen. Den Leistungsberechtigten solle ermöglicht werden, verfügbares Einkommen oder Vermögen vorrangig zur Sicherung der Unterkunft einzusetzen. Des Weiteren wird als Orientierungswert für die Bemessung die Höhe eines halben Regelbedarfs für Alleinstehende angegeben, der insgesamt mindestens verbleiben soll (vgl. Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.48 f., Stand 22. April 2014; Ziff. 31.48a, Stand 4. Mai 2017). Unabhängig vom Zeitpunkt eines Antrags sollen ergänzende Leistungen dann für den gesamten Leistungszeitraum erbracht werden und nur in Einzelfällen anteilig.

(3) Weitere Regelungen ermöglichen Darlehen für besondere Bedarfe. Nach § 24 Abs. 1 SGB II besteht im Einzelfall die Möglichkeit, auf Antrag Darlehen zu gewähren, wenn ein vom Regelbedarf umfasster, „nach den Umständen unabweisbarer Bedarf“ sonst nachweislich nicht gedeckt werden kann. Auf diese Möglichkeit wird hier von der Bundesregierung verwiesen, weil damit Leistungsminderungen abgemildert werden könnten. Das Darlehen muss jedoch später zurückgezahlt werden; das geschieht ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfs (§ 42a Abs. 2 Satz 1 SGB II). Damit wird die Leistungsminderung nicht ausgeglichen, sondern als Minderung in Höhe von 10 % zeitlich verlagert.

ee) Vor einer Minderung von Grundsicherungsleistungen zur Durchsetzung von zumutbaren Mitwirkungsanforderungen müssen bestimmte Verfahrensregeln beachtet werden, die insbesondere dazu dienen, den Betroffenen zu ermöglichen, die Sanktionen zu vermeiden.

(1) Die Minderung von Leistungen zur Durchsetzung einer Mitwirkungspflicht setzt nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II zunächst voraus, dass zuvor über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung schriftlich belehrt wurde oder die Leistungsberechtigten die Rechtsfolgen kannten.

(2) Die Leistungsberechtigten müssen dann angehört werden, bevor eine Minderung der Leistungen zur Durchsetzung einer zumutbaren Mitwirkung festgestellt wird. Die Anhörung ist nach den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit möglichst schriftlich durchzuführen oder, soweit sie mündlich erfolgt, zu dokumentieren (Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.1, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017). In der Anhörung sei darauf hinzuweisen, dass auf Antrag ergänzend Sachleistungen bezogen werden können und dass bei Wegfall des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II zwar der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz erhalten bleibe, aber Beitragsschulden entstünden, was dann vermieden werden könne (a.a.O., Ziff. 31.51).

(3) Für alle Umstände, die für den Eintritt einer Minderung maßgeblich sind, gilt grundsätzlich der aus dem Grundsatz der Amtsermittlung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) folgende Untersuchungsgrundsatz. Soweit ein wichtiger Grund, der nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine Pflichtverletzung entfallen lässt und damit auch einer Sanktion entgegensteht, in der Sphäre der Leistungsberechtigten liegt, haben diese ihn darzulegen und nachzuweisen. Damit ist die Pflicht des Leistungsträgers zur Erforschung des Sachverhalts jedoch nicht aufgehoben (vgl. Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.18, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017; Knickrehm/Hahn, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 31 Rn. 69 f.). Eine Beweislastumkehr besteht, soweit sich die in der Sphäre der Leistungsberechtigten liegenden Tatsachen auch durch Amtsermittlung nicht aufklären lassen (so bereits BTDrucks 15/1516, S. 60).

(4) Die Verletzung einer Mitwirkungspflicht ist schließlich durch Verwaltungsakt festzustellen und der Umfang der Minderung durch Aufhebung des Leistungsbescheides in Höhe des Minderungsbetrages nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorzunehmen (Fachliche Hinweise bzw. Weisungen der BA, Ziff. 31.28, Stand 22. April 2014 und 4. Mai 2017). Die Sanktionsentscheidung ist in den Leistungsunterlagen ausführlich zu dokumentieren (Fachliche Hinweise der BA, Ziff. 31.1., Stand 22. April 2014).

ff) Rechtsbehelfe gegen einen Leistungsminderungsbescheid haben nach § 39 Nr. 1 SGB II (wie auch nach § 11 Abs. 4 AsylbLG) keine aufschiebende Wirkung.

5. Daneben ist das Unionsrecht mit Blick auf die hier zu überprüfenden sanktionierten Mitwirkungsanforderungen des Grundsicherungsrechts für Erwerbsfähige im Sozialgesetzbuch Zweites Buch nicht von Bedeutung. Gegenstand dieses Verfahrens ist nicht die Koordinierung von Sozialleistungen in der Europäischen Union, da kein grenzüberschreitender Sachverhalt betroffen ist.

II.

Zwar hat der Gesetzgeber in § 55 SGB II vorgegeben, dass die Wirkungen der Leistungen zur Eingliederung und der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts regelmäßig und zeitnah zu untersuchen sind, doch liegt eine solche umfassende Untersuchung für sanktionierte Mitwirkungspflichten nach §§ 31, 31a, 31b SGB II nicht vor. Aus den sonstigen Studien und den Stellungnahmen in diesem Verfahren ergibt sich ein heterogenes, vielfach aber insbesondere zu den Wirkungen der Mitwirkungspflichten und der Sanktionen nicht durch tragfähige Daten gefülltes Bild.

1. Die Praxis der Sanktionierung erscheint insgesamt uneinheitlich (vgl. Ames, Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II, 2009, S. 14; Hillmann/Hohenleitner, Impact of Benefit Sanctions on Unemployment Outflow – Evidence from German Survey Data, 2012, S. 21). Umfangreiche Studien kommen zu dem Schluss, es hänge entscheidend vom jeweiligen Jobcenter ab, ob eine Leistungsminderung tatsächlich verhängt werde; die Sanktionsrate variiere nach Alter, Qualifikation, Geschlecht und Lebenssituation sowie nach dem Arbeitsmarkt (Boockmann/Thomsen/Walter, Intensifying the Use of Benefit Sanctions: An Effective Tool to Shorten Welfare Receipt and Speed Up Transitions to Employment?, 2009, S. 5 f., 8, 12, auf der Grundlage von Interviews und Daten von 24.563 Leistungsberechtigten und Fachkräften in 154 Behörden; Wolff/Moczall, IAB-Forschungsbericht 11/2012, S. 23, 25, 65, in Auswertung von über einer Million Datensätzen und Erwerbsbiografien zu Leistungsminderungen in Höhe von 30 %).

2. Die Gründe, auf die zurückgeführt wird, dass Mitwirkungsanforderungen aus § 31 Abs. 1 SGB II nicht erfüllt werden, sind vielfältig. Sie reichen von Unwillen über Unvermögen bis zur subjektiv empfundenen oder objektiv vorliegenden Unmöglichkeit, die Mitwirkungspflichten zu erfüllen; wie genau sie verteilt sind, ist nicht bekannt. Es wird dargelegt, dass oft die Lebensumstände entgegenstünden; es lägen Kompetenzdefizite vor, nicht aber mangelnde Eigenverantwortung oder mangelnde Arbeitsbereitschaft; dazu kämen Kommunikationsstörungen zwischen den Hilfebedürftigen und Behörden (vgl. Ames, Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II, 2009, S. 171). In der mündlichen Verhandlung wurde erläutert, dass dabei auch überzogene Anspruchshaltungen ebenso wie der Eindruck behördlicher Willkür eine Rolle spielten; zudem wurde mehrfach darauf hingewiesen, die hier zu überprüfenden Leistungsminderungen träfen gerade psychisch stark belastete Menschen (vgl. ergänzend zu Wirkungen des Wegfalls der Leistungen Apel/Engels, Unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem SGB III in NRW, 2013, S. 26). Unter Verweis auf Daten der Krankenkassen wird zwar dargelegt, dass es bei jeder dritten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Leistungen beziehenden Person innerhalb eines Jahres eine ärztlich festgestellte psychiatrische Diagnose gebe (Schubert u.a., IAB-Forschungsbericht 12/2013, S. 79). Bei vielen Menschen sei allerdings schwer zu unterscheiden, ob eine psychische Erkrankung oder Belastung vorliege oder schlicht Unwilligkeit, Mitwirkungspflichten zu erfüllen, und es werde uneinheitlich damit umgegangen, ob eine psychische Erkrankung ein wichtiger Grund sei, um von Leistungsminderungen abzusehen (a.a.O., S. 65).

3. Derzeit liegen ausweislich der in dieses Verfahren auf konkrete Nachfragen eingebrachten Stellungnahmen und der mündlichen Verhandlung keine eindeutigen empirischen und nach der Höhe der Leistungsminderung differenzierenden Erkenntnisse zu den Wirkungen der in §§ 31a, 31b SGB II normierten Sanktionen vor. Die vorliegenden Studien und Untersuchungen trennen zudem weitgehend nicht nach der verletzten Pflicht, auf die sich eine Sanktion bezieht, und umfassen vielfach auch die Pflichten nach § 31 Abs. 2 SGB II sowie die Meldeversäumnisse nach § 32 SGB II. Sie differenzieren weitgehend auch nicht nach dem Alter der Betroffenen. Zur Praxis der ergänzenden Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II fehlen jedwede Daten.

a) Die Forschungslage ist insbesondere in den Methoden, der Repräsentativität und Aussagekraft und in den Ergebnissen uneinheitlich. Es wird daher auch immer wieder auf die unbefriedigende Datenlage hingewiesen. So lasse sich eine Kausalität zwischen Leistungsminderung und der Arbeitssuche und dem Übergang in Beschäftigung nicht belegen (vgl. Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 4; Wolff/Moczall, IAB-Forschungsbericht 11/2012, S. 31, 36, 65). Ob verhängte Sanktionen die Mitwirkungsbereitschaft durch eine Intensivierung der Arbeitssuche erhöhen, ist bislang empirisch nicht belegt. Ebenso ist bislang nicht untersucht und aufgrund der ubiquitären Wirkung auch kaum verifizierbar, wie hoch die sogenannte ex ante-Wirkung von Sanktionen, also der Effekt schon aufgrund ihrer Existenz oder Androhung, auf die Mitwirkungsbereitschaft einzuschätzen ist (Apel/Engels, a.a.O. 2013, S. 50).

b) Es gibt indes mehrere Studien, die positive Wirkungen einer Leistungsminderung benennen. Ausweislich einer rein quantitativen Studie erhöhen Leistungsminderungen die Wahrscheinlichkeit der Beschäftigungsaufnahme leicht (vgl. Schneider, The Effect of Unemployment Benefit II Sanctions on Reservation Wages, IAB-Discussion Paper 19/2008, S. 42; auch Schreyer/Zahradnik/Götz, SozF 2012, S. 215, wonach aber über die Qualität der Beschäftigung etwa in Hinblick auf Dauer, Entlohnung oder Ausbildungsadäquanz nichts ausgesagt werden könne). Eine andere Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufzunehmen, mit einer Sanktion sogar um mehr als 50 % steige (Boockmann/Thomsen/Walter, a.a.O., 2009, S. 14, 21). Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit sieht eine gewisse empirische Evidenz dafür, dass Sanktionen in der Grundsicherung Fehlanreizen entgegenwirken und intendierte Beschäftigungseffekte entfalten könnten (Hofmann u.a., IAB-Stellungnahme 5/2011, S.11, zum Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, BTDrucks 17/3207). Auch finden sich Hinweise darauf, dass die Androhung hoher Sanktionen davon abschrecken kann, Mitwirkungspflichten zu verletzen; in einem System ohne Sanktionen sei davon auszugehen, dass sich Menschen anders verhielten, nämlich höhere Anspruchslöhne sowie eine geringere Suchintensität aufweisen würden (vgl. Ames, a.a.O., 2009, S. 169 f.; Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 3; Schreyer/Zahradnik/Götz, SozF 2012, S. 215).

In einer weiteren Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung zu Anträgen der Bundestagsfraktion Die Linke (BTDrucks 18/3549, 18/1115) und der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks 18/1963) wird dargelegt, dass die Forschung zu Sanktionen positive arbeitsmarktpolitische Wirkungen zeige, insbesondere den beschleunigten Übergang in Beschäftigung. Leistungsminderungen könnten die richtigen Anreize setzen und auch Verhaltensänderungen bewirken. Zur Vermeidung besonderer Härten sollten jedoch schwerwiegende Folgen einer Leistungsminderung wie der Wohnungsverlust vermieden, das Maß der Minderung stärker von der Art des Verstoßes abhängig gemacht und bei wiederholten Pflichtverletzungen innerhalb eines Jahres die Minderungswirkung nicht durch eine höhere Minderung, sondern durch eine längere Dauer gewährleistet werden (vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 34 f.; dazu auch BRDrucks 66/1/16, S. 29).

c) Daneben findet sich der gemischte Befund, dass bei unter 25-Jährigen ein positiver Zusammenhang zwischen Sanktionserfahrung und Arbeitssuche sichtbar werde, bei älteren Leistungsbeziehern von Sanktionen aber keine substantiell positiven Auswirkungen auf die Mitwirkungsbereitschaft in Gestalt einer Intensivierung der Arbeitssuche ausgingen (Apel/Engels, a.a.O., 2013, S. 54 f.).

d) Mehrere Studien legen negative Wirkungen der Sanktionen auf Betroffene dar. Dazu gehören der soziale Rückzug und Isolation, Obdachlosigkeit, schwerwiegende psychosomatische Erkrankungen oder Kriminalität zur Erschließung alternativer Einkommensquellen (Ames, a.a.O., 2009, S. 172; auch Fischer, Folgen von Sanktionen im Bezug von Arbeitslosengeld II, 2016, S. 3 ff.). Besonders problematisch seien die Gefahr von Kleinkriminalität, Schwarzarbeit oder Verschuldung, der Kontaktabbruch von Leistungsberechtigten zum SGB-II-Träger, Fehlentscheidungen bei psychisch Beeinträchtigten und die Betroffenheit der Bedarfsgemeinschaft (Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 6). Auch die Untersuchung zur Erforschung der Ursachen und Auswirkungen von Sanktionen nach § 31 SGB II und nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch von Apel/Engels 2013 gelangt zu dem Ergebnis, dass Sanktionen seelische Probleme verstärkten, zum sozialen Rückzug führten (a.a.O., S. 26, 29; auch Hillmann/Hohenleitner, a.a.O., 2012, S. 21) und Verschuldungsrisiken auftreten könnten, weil unter anderem Miete und Strom nicht mehr regelmäßig bezahlt würden (Apel/Engels, a.a.O., 2013, S. 37 ff., 46; auch vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 30; Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 6). Bei über 25-Jährigen stehe die aktuelle Arbeitssuche in keinem positiven, sondern in einem eher negativen Zusammenhang mit der Sanktionserfahrung (Apel/Engels, a.a.O., 2013, S. 51, 54). Negative Nebenwirkungen seien jedenfalls nicht auszuschließen (vgl. Hofmann u.a., IAB-Stellungnahme 5/2011, S. 11).

Besonders kritisch bewerten Fachkräfte die Totalsanktion bei wiederholter größerer Pflichtverletzung, bei der nicht nur die Regelleistung, sondern auch die Leistung für Miete und Heizung gestrichen wird (Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 7; dazu auch Wolff, IAB-Stellungnahme 2/2014, S. 14). Nach einer Leistungsminderung erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, das Sozialsystem nicht in Erwerbsarbeit zu verlassen, sondern den Kontakt zum Jobcenter abzubrechen und dann ohne dessen Unterstützung zu leben (Boockmann/Thomsen/Walter 2009, a.a.O., S. 14, 21; bestätigt in der Panel-Umfrage Arbeitsmarkt und soziale Sicherheit <PASS> von Hillmann/Hohenleitner, a.a.O., 2012, S. 8; vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 34). Starre Sanktionen würden dann ihren Zweck konterkarieren (u.a. Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 4, 6). In Interviews zeigte sich, dass wiederholte Sanktion nur in wenigen Fällen zur Mitwirkung führte (Ames, a.a.O., 2009, S. 167). Zudem seien negative Effekte auf Dauer und Lohnhöhe der zur Vermeidung von Sanktionen wahrgenommenen Beschäftigung erkennbar (Hillmann/Hohenleitner, Impact of Welfare Sanctions on the Quality of Subsequent Employment – Wages, Incomes, and Employment Stability, HWWI Research Paper 190, 2019, S. 15, 17; dazu auch vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 18, 25 ff.; Ehrentraut u.a., WISO-Diskurs 2014, S. 26 f.).

e) Darüber hinaus wird mehrfach berichtet, dass in der Praxis tatsächlich gesetzlich nicht vorgesehene Ermessensspielräume in Anspruch genommen werden, weil eine rechtlich gebotene Sanktionierung tatsächlich keinen Sinne mache, denn sie erreiche das Gegenteil von dem, was eigentlich bezweckt sei (vgl. Karl/Müller/Wolff, ZsfRSoz 2011, S. 101 <124 f.>; Bundesrechnungshof, Unterrichtung an die Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Umsetzung der Sanktionsmöglichkeiten nach § 31 SGB II, Gz: 31170-2010-0783, 2012, S. 10; Götz/Ludwig-Mayerhofer/Schreyer, IAB-Kurzbericht 10/2010, S. 5; vom Berge u.a., IAB-Stellungnahme 2/2015, S. 33).

III.

Der am 26. Juli 1982 geborene und damit im Jahr 2014 über 25-jährige Kläger des Ausgangsverfahrens hat eine abgeschlossene Berufsausbildung im Bereich Lager/Logistik. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld erhielt er erstmalig ab Juli 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Im Jahr 2006 brach er eine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation ab. Das Jobcenter bewilligte zunächst mit Bescheid vom 31. Januar 2014, ausgehend von einem Regelbedarf in Höhe von 391 Euro und anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung, für den Zeitraum vom 1. März 2014 bis 31. August 2014 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 609,27 Euro.

Mit Schreiben vom 25. Februar 2014 übersandte das Jobcenter dem Kläger den Vorschlag für einen bestimmten Arbeitsplatz als Lagerarbeiter und teilte ihm einen für ihn vereinbarten Vorstellungstermin mit, verbunden mit einer Belehrung über die Rechtsfolgen eines Pflichtenverstoßes. Bei einer vom Arbeitgeber durchgeführten Informationsveranstaltung äußerte der Kläger, kein Interesse an dieser Tätigkeit zu haben, sondern sich für den Verkaufsbereich bewerben zu wollen. Dies meldete der Arbeitgeber an das Jobcenter.

Mit Schreiben vom 20. Mai 2014 wurde der Kläger zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört. Er teilte mit, dass er sich nicht beworben habe, weil er sich für den Verkauf bewerbe. In dem Schreiben wurde er auf die Möglichkeit hingewiesen, dass bei einer Minderung des Auszahlungsanspruches um mehr als 30 % ergänzende Leistungen gewährt werden könnten.

1. Durch Bescheid vom 4. Juni 2014 hob das Jobcenter die Bewilligung für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis 31. August 2014 teilweise auf und minderte das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis 30. September 2014 (den Minderungszeitraum) um 30 % des maßgebenden Regelbedarfes, also 117,30 Euro monatlich. Es habe dem Kläger mit Schreiben vom 25. Februar 2014 ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis als Lager- und Transportarbeiter angeboten, dieser habe aber das Zustandekommen trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen verhindert.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19. Juni 2014 Widerspruch ein. Das Arbeitsangebot habe er abgelehnt, da er sich für den Verkauf beworben und mehrfach gegenüber seinem Arbeitsvermittler den Wunsch geäußert habe, in diesem Bereich eingesetzt zu werden.

Für September 2014 wurden dem Kläger (abgesenkte) Leistungen in Höhe von 491,97 Euro und für den Zeitraum vom 1. Oktober 2014 bis 28. Februar 2015 (ursprünglich nicht abgesenkte und nicht beanstandete) 609,27 Euro monatlich bewilligt.

Den Widerspruch wies das Jobcenter mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 als unbegründet zurück. Anwendung finde § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Der Kläger habe sich geweigert, die angebotene und zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Das Angebot, eine Tätigkeit als Lagermitarbeiter aufzunehmen, sei aufgrund der Ausbildung des Klägers im Bereich Lager/Logistik zumutbar gewesen. Vorrangiges Interesse an einem anderen Beschäftigungsverhältnis sei kein wichtiger Grund, eine Arbeitsaufnahme abzulehnen, denn ein solcher Grund müsse im Verhältnis zu den Interessen der Allgemeinheit besonderes Gewicht haben. Angesichts der Zumutbarkeitsregelungen des § 10 SGB II sei bei der Prüfung des wichtigen Grundes ein strenger Maßstab anzulegen. Der Kläger müsse alle Möglichkeiten ausschöpfen, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern, und auch Tätigkeiten ausüben, die nicht seinen persönlichen Vorlieben entsprächen. Er sei mit dem Schreiben vom 25. Februar 2014 über die Folgen einer Pflichtverletzung belehrt worden.

2. Das Jobcenter verfügte mit dem eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 21. Juli 2014, dass der Kläger bei einem Arbeitgeber innerhalb eines Monats einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein einzulösen habe, um eine praktische Erprobung zu ermöglichen. Der Gutschein bezog sich auf eine praktische Erprobung bei einem Arbeitgeber mit dem Ziel, Berufserfahrung im Verkauf zu erwerben. Dem kam der Kläger trotz Belehrung über seine Mitwirkungspflichten und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung nicht nach.

Mit Bescheid vom 19. September 2014 minderte das Jobcenter das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 31. Dezember 2014 daher um monatlich 60 % des Regelbedarfs, also um monatlich 234,60 Euro, und hob die Bewilligung für den Minderungszeitraum auf. Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht trotz Belehrung über die Pflicht und die Rechtsfolgen wiederholt nicht nachgekommen. In dem Bescheid nahm das Jobcenter bezüglich der ergänzenden Leistungen auf das Anhörungsschreiben vom 22. August 2014 Bezug und wies nochmals auf die Möglichkeit hin, auf Antrag ergänzende Leistungen zu erhalten.

Der dagegen gerichtete Widerspruch vom 2. Oktober 2014 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2014 wiederum als unbegründet zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 31a Abs. 1 Satz 2 und § 31b SGB II lägen vor. Der Kläger habe sich ohne Grund geweigert, die im Verwaltungsakt festgelegten Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Da er Arbeit im Verkauf anstrebe, aber dort keine nennenswerte berufliche Erfahrung habe, sei die praktische Erprobung im Rahmen des Gutscheins sinnvoll und angesichts der bisher fehlgeschlagenen Vermittlungsbemühungen zweckmäßig und notwendig. Der Kläger müsse alles tun, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern, also den Gutschein fristgemäß einlösen. Er habe dies nicht getan und somit innerhalb eines Jahres wiederholt Pflichten verletzt. Daher mindere sich das Arbeitslosengeld II um 60 % des maßgeblichen Regelbedarfs. Bei einer Minderung um mehr als 30 % könnten auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbracht werden. Hierauf sei der Kläger hingewiesen worden; er habe aber keinen entsprechenden Antrag gestellt.

3. Mit Schriftsatz vom 13. November 2014 erhob der Kläger Anfechtungsklage gegen beide Widerspruchsbescheide. Eine Anstellung als Mitarbeiter im Bereich Lager/Logistik sei nicht aufgrund seines Verhaltens nicht zustande gekommen. Er habe im Vorstellungsgespräch gesagt, dass er zu Arbeit im Lager nicht bereit sei, sondern nur zu einer Tätigkeit im Verkauf. Die erste Leistungsminderung sei gleichwohl ebenso rechtswidrig wie die Kürzung der Regelleistung um 60 %, denn § 31a SGB II sei verfassungswidrig.

a) Mit Beschluss vom 26. Mai 2015 legte das Sozialgericht Gotha die §§ 31 bis 31b SGB II dem Bundesverfassungsgericht mit der Frage vor, ob diese mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sowie mit Art. 12 Abs. 1 und mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu vereinbaren seien. Die 3. Kammer des Ersten Senats stellte mit Beschluss vom 6. Mai 2016 – 1 BvL 7/15 – die Unzulässigkeit der Vorlage fest. Es fehlte an hinreichenden Darlegungen zur Entscheidungserheblichkeit, da die Rechtmäßigkeit der Sanktion mit Blick auf die Rechtsfolgenbelehrung nicht geklärt sei.

b) Das vorlegende Gericht hat am 2. August 2016 aufgrund mündlicher Verhandlung (erneut) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 31a in Verbindung mit §§ 31, 31b SGB II zur Entscheidung vorzulegen. Es hörte den Kläger des Ausgangsverfahrens zu seiner Kenntnis der Rechtsfolgen der streitgegenständlichen Pflichtverletzungen in der mündlichen Verhandlung an. Dieser erklärte, wiederholt Adressat einer Leistungsminderung geworden zu sein und sich mit einschlägiger Literatur auseinandergesetzt zu haben. Er habe sich zudem sehr gut an Gespräche mit Mitarbeitern des Jobcenters im Zusammenhang mit Eingliederungsvereinbarungen erinnern können, in denen ihm Kürzungen des Leistungsanspruches um 30 % beziehungsweise 60 % in Aussicht gestellt worden seien.

c) Das vorlegende Gericht ist überzeugt, die Regelungen in § 31a in Verbindung mit § 31 und § 31b SGB II seien verfassungswidrig.

aa) Sie verstießen gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Gemessen an den Maßgaben zum einheitlichen Grundrechtsschutz, der die physische Existenz und die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen sowie zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasse, gestalteten §§ 31 ff. SGB II die Grundsicherung für erwerbsfähige Menschen mangelhaft aus. Schon die Koppelung existenzsichernder Leistungen an ein bestimmtes Verhalten der Betroffenen verstoße gegen die grundgesetzlichen Vorgaben. Das Existenzminimum sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit zu gewähren. Es dürfe daher nicht von einer Mitwirkung abhängig gemacht werden. Selbst bewusste Zuwiderhandlungen gegen den Selbsthilfegrundsatz müssten hingenommen werden.

Die bei einer Sanktion verbleibende Leistung sei nicht bedarfsorientiert berechnet, sondern willkürlich bestimmt. Das vom Gesetzgeber festgelegte Existenzminium sei aber schon denklogisch nicht unterschreitbar. Es müsse in jedem Fall und zu jeder Zeit gewährleistet sein. Leistungsminderungen ab 30 % des maßgebenden Regelbedarfs unterschritten die notwendigen Bedarfe evident. Die Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II kompensierten das nicht, denn schon die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit begrenzten ihren Umfang, sie seien antragsabhängig und stünden im Ermessen, würden also nicht durch den Gesetzgeber, sondern von der Verwaltung bestimmt.

bb) Die Regelungen verstießen gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 GG. Schon die Drohwirkung der Minderungsmöglichkeit nach §§ 31 ff. SGB II beeinträchtige die dort geschützte Freiheit. Der damit bewirkte Arbeitszwang sei auch nicht gerechtfertigt. Die Minderungen seien schon nicht geeignet, Leistungsempfänger an den Arbeitsmarkt heranzuführen, kein mildestes Mittel und unangemessen.

cc) Die Minderungsregelungen verletzten die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG. Der Wegfall des Arbeitslosengeldes II könne zum Wegfall des Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes führen, bei Schwangeren entfalle der Mehrbedarf und eine mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln habe gesundheitsschädliche Folgen.

d) Eine verfassungskonforme Auslegung oder Anwendung der Minderungsregelungen sei ausgeschlossen. Dem stehe der Wortlaut entgegen. Vorschläge aus Fachliteratur und Rechtsprechung bezögen sich nur auf kompensatorische Leistungen in bestimmten Fällen, lösten das Problem aber nicht.

e) Die Entscheidung über die Klage hänge von der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Normen ab. Die zulässige Anfechtungsklage sei in der Sache unbegründet, wenn diese verfassungskonform wären, denn die angefochtenen Minderungsbescheide seien dann rechtmäßig. Formelle Rechtsfehler seien nicht ersichtlich. Insbesondere sei der Kläger des Ausgangsverfahrens vor Erlass des Minderungsbescheides nach § 24 SGB X angehört worden. Auch Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Rechtsfolgenbelehrung bestünden nicht; der Kläger habe im Übrigen Kenntnis von den Rechtsfolgen seines Handelns gehabt. Er habe ein zumutbares Arbeitsangebot abgelehnt und damit eine Pflicht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II verletzt. Er habe innerhalb eines Jahres eine erste wiederholte Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II begangen, denn er habe gegen eine Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II verstoßen, indem er einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein mit dem Ziel der praktischen Erprobung bei einem selbstgewählten Arbeitgeber im Bereich Verkauf nicht eingelöst habe.

IV.

Zu dem Vorlagebeschluss haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales namens der Bundesregierung, das Bundessozialgericht, der Freistaat Thüringen, die Bundesagentur für Arbeit, der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag, die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, der Deutsche Anwaltverein, der Deutsche Sozialgerichtstag, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutsche Caritasverband, die Diakonie Deutschland, der Paritätische Gesamtverband, der Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Tacheles e.V., der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK inhaltlich Stellung genommen.

Die Bundesregierung hält die Vorlage für unzulässig, hilfsweise für unbegründet. Die Regelungen seien mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Menschenwürdegarantie sei auch durch Eigenverantwortung geprägt. Die Ausgestaltung der Sanktionen genüge dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Die Bundesagentur für Arbeit hebt die Funktion der Sanktionen als wichtiges Lenkungsinstrument hervor. Die Forschungsergebnisse deuteten darauf hin, dass sie positive Wirkungen zeigten. Sie ergänzte allerdings in der mündlichen Verhandlung, dass es der Sanktion des vollständigen Wegfalls der Leistungen nicht bedürfe, weil sie oft kontraproduktiv wirke (unten Rn. 100).

Auch die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände hält die vorgelegten Regelungen – insbesondere mit Blick auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und einer aus Art. 1 Abs. 1 GG folgenden Selbsthilfeobliegenheit – für verfassungsgemäß.

Das Bundessozialgericht verweist darauf, dass der 14. Senat eine Leistungsminderung um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs für verfassungsgemäß gehalten habe (BSGE 119, 17). An die Feststellung einer Obliegenheitsverletzung als Voraussetzung für eine Leistungsminderung oder einen -wegfall würden hohe Anforderungen gestellt. Die Rechtsprechung habe zudem Folgen eines Wegfalls des Arbeitslosengeldes II für Angehörige der Bedarfsgemeinschaft abgemildert.

Der Deutsche Landkreistag hält die vorgelegten Regelungen für verfassungsgemäß, denn das Grundgesetz fordere keine voraussetzungslosen Sozialleistungen. Ohne die Sanktionen sei eine nachhaltige Integrationsarbeit in den Arbeitsmarkt stark eingeschränkt. Der Deutsche Städtetag trägt vor, dass die Wirkungen von Sanktionen als überwiegend positiv beschrieben würden.

Der Freistaat Thüringen führt aus, er habe in – erfolglosen – Gesetzesinitiativen zur Entschärfung des Sanktionsrechts beziehungsweise zur Abschaffung der Sanktionen im Bundesrat die Vereinbarkeit der Sanktionsregelungen im Sozialgesetzbuch Zweites Buch mit dem Grundgesetz in Zweifel gezogen.

Der Deutsche Anwaltverein berichtet von Problemen der Praxis. So seien Personen mit multiplen Vermittlungshindernissen besonders häufig von Sanktionen betroffen, und neurologisch-psychiatrische Grunderkrankungen oder ähnliche der Vermittlung in den Arbeitsmarkt entgegenstehende Sachverhalte würden oft erst vor Gericht aufgeklärt.

Der Deutsche Sozialgerichtstag und der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge halten die Regelungen für teilweise verfassungswidrig. Der Deutsche Sozialgerichtstag trägt vor, dass die Grundrechte zwar nicht den Verzicht auf jede Sanktionierung durch Leistungskürzungen forderten. Die derzeitige Ausgestaltung beinhalte jedoch keine ausreichenden materiellen und verfahrensmäßigen Sicherungen zur Gewährleistung des menschenwürdigen Daseins. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge erachtet die Minderung in Höhe von 30 % für verfassungsgemäß; sie sei auch von gewichtigen Belangen der die Leistungen finanzierenden Gemeinschaft getragen. Angesichts der Höhe der anerkannten regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben sei es bei einer Leistungsminderung um 60 % überhaupt nur mit ergänzenden Leistungen denkbar, den existenznotwendigen Bedarf zu decken, doch sei eine Sanktion in dieser Höhe nicht mehr angemessen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Deutscher Caritasverband, die Diakonie Deutschland, der Paritätische Gesamtverband, Tacheles e.V., der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK halten die Normen für insgesamt verfassungswidrig. Teils wird darauf verwiesen, dass existenzsichernde Leistungen hier nicht bedürftigkeitsabhängig gekürzt würden, teils die Verhältnismäßigkeit bezweifelt oder verneint, teils auf negative sozialpolitische Folgen abgehoben. Der Paritätische Gesamtverband verweist auf mildere Mittel, um dauerhaft die erforderliche Mitwirkung zu bewirken, wie eine Befristung von Leistungsbestandteilen. Nach Einschätzung des Deutschen Caritasverbands seien Verhaltensanforderungen angesichts der Verantwortung des Einzelnen nicht von vornherein unzulässig, ihre Ausgestaltung genüge aber der Verhältnismäßigkeit nicht.

V.

Das Bundesverfassungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2019 die Bundesregierung, die Prozessbevollmächtigte des Klägers des Ausgangsverfahrens, die Bundesagentur für Arbeit, den Deutschen Landkreistag, den Deutschen Städtetag, die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, den Deutschen Caritasverband, den Deutschen Gewerkschaftsbund, Tacheles e.V., die Diakonie Deutschland, den Deutschen Sozialgerichtstag, den Paritätischen Wohlfahrtsverband, den Deutschen Anwaltverein, den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge sowie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit gehört.

Die Bundesregierung hat ausgeführt, die Sanktionen dienten der Durchsetzung der Mitwirkungsobliegenheiten und damit letztlich der Überwindung der Hilfebedürftigkeit sowie dem Schutz der Steuerzahler. Ihre Abschaffung würde das Prinzip des Förderns und Forderns konterkarieren und die Mitwirkungsobliegenheiten ins Leere laufen lassen. Im Einzelfall auftretenden Härten und Belastungen Dritter werde hinreichend begegnet. Die Warnfunktion der Leistungsminderung werde beeinträchtigt, wenn der Minderungszeitraum verkürzt werde. Überwiegend unterbleibe die Mitwirkung, weil der Wille fehle.

Die Bundesagentur für Arbeit hat insoweit ergänzend vorgetragen, dass Sanktionen insbesondere erforderlich seien, um Mitwirkung durchzusetzen und den Kontakt zu den Hilfebedürftigen nachdrücklich einfordern zu können, denn eine höhere Kontaktdichte verbessere die Vermittlung in den Arbeitsmarkt erheblich. Der völlige Wegfall der Leistungen sei nicht notwendig, sondern oft sogar kontraproduktiv; insbesondere eine Gefährdung der Wohnung sei nicht zu rechtfertigen. Gebe es ein Ermessen der zuständigen Behörde hinsichtlich der Sanktion, sei für die zur Mitwirkung Verpflichteten nicht mehr absehbar, welche Folgen ihr Handeln habe; auch könne das Vertrauensverhältnis zum Sachbearbeiter empfindlich gestört werden. Vorgetragen wurde auch, dass Leistungsminderungen zeitnah enden und wieder ungeminderte Leistungen ausgezahlt werden könnten, wenn nachgewiesen wird, dass die Mitwirkung nunmehr erfolgt.

Der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag haben vorgetragen, die Sanktionen seien grundsätzlich geeignet, das Verhalten der Leistungsberechtigten zu korrigieren, denn sie seien ein Weckruf. Der Deutsche Landkreistag hat darauf hingewiesen, dass die Betroffenen auf Fragen nach den Gründen für die Verweigerung der Mitwirkung vielfach auf privaten Stress, Überforderung, Amtswillkür oder Missverständnisse hinweisen; teilweise müsse davon ausgegangen werden, dass andere Einnahmequellen bestünden oder eine überzogene Anspruchshaltung vorliege. Es gäbe aber auch negative Effekte von Sanktionen wie den Rückzug vom Arbeitsmarkt und die Erschließung illegaler Einnahmequellen. Nach Ansicht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit hat sich das Konzept des Forderns und Förderns bewährt, weil die Mitwirkungsobliegenheit überwiegend erfüllt werde. Eine positive Wirkung auf die Vermittlungswahrscheinlichkeit sei allerdings nicht für alle Sanktionshöhen belegt.

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers des Ausgangsverfahrens führte aus, dass Jobcenter die Sachverhalte oft mangelhaft aufklärten und Mitarbeiter mitunter voreingenommen seien. Es würden häufig Personen mit psychischen Erkrankungen sanktioniert, bei denen dies ohnehin wirkungslos sei. Der starre Sanktionszeitraum wirke demotivierend, da eigenes Verhalten ihn nicht verkürzen könne.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund betonte, dass empirische Belege zur Geeignetheit von Sanktionen, Betroffene zur Mitwirkung anzuhalten, weithin fehlten. Der Deutsche Caritasverband bejahte die Eignung, verneinte aber die Verhältnismäßigkeit der zwingenden Leistungsminderung und ihrer vorgegebenen Dauer. Eine Kombination aus Höhe und Dauer der Minderung könne den sehr unterschiedlichen Lebenslagen besser entsprechen. Sanktionen treffen auch nach den Darlegungen von Tacheles e.V., der Diakonie Deutschland und der Deutsche Caritasverband insbesondere Menschen mit multiplen Vermittlungshindernissen und psychisch stark belastete Menschen, auch wenn dazu keine Statistiken vorliegen. Die Mitwirkung unterbleibe eher wegen einer Überforderung, insbesondere aufgrund persönlicher Krisen, Depressionen oder Krankheiten, und weniger aufgrund von Verweigerung. Es sei auch nicht belegt, dass Menschen im Leistungsbezug verharrten, wenn es keine Sanktionen gäbe. Es gebe eine Unwucht zwischen Fördern und Fordern.

Nach Darstellung von Tacheles e.V., die unter anderem auf einer selbst durchgeführten, nicht repräsentativen Befragung beruht, ist ein Zusammenhang zwischen der Leistungsminderung und der Eingliederung in Arbeit nicht erkennbar; Erfolge könnten auch auf die gute Konjunktur zurückgeführt werden. Viele Befragte und die Sozialverbände beurteilten die Sanktionen kritisch. Sie sähen in der Überforderung der Sanktionierten aufgrund einer psychischen Erkrankung einen wesentlichen Grund, warum Mitwirkungsanforderungen nicht nachgekommen wird. Häufig seien durch Sanktionen Dritte betroffen. Insgesamt seien Sanktionen kein geeignetes Mittel zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit.

B.

Die Normenkontrollvorlage des Sozialgerichts zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2, 4 und 5, § 31b Abs. 1 Sätze 1, 3 und 5 SGB II in den Fällen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II ist zulässig (I). Die Vorlagefrage ist um § 31a Abs. 1 Satz 3 und um die Fälle des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II zu erweitern (II).

I.

Der Beschluss des Sozialgerichts genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; 127, 335 <355>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>).

1. Das Sozialgericht rügt ausdrücklich die Verfassungswidrigkeit von § 31a in Verbindung mit § 31 SGB II und § 31b SGB II in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 (BGBl I S. 850) als formelles nachkonstitutionelles Recht. Tatsächlich findet jedoch die seit dem 1. April 2012 geltende Fassung vom 20. Dezember 2011 (BGBl I S. 2854) Anwendung. Nachfolgend wurde die Norm redaktionell geändert (oben Rn. 3), blieb aber in den hier zu prüfenden Regelungsteilen identisch. Insoweit besteht über den Gegenstand der Vorlage kein Zweifel (vgl. BVerfGE 67, 256 <273>).

2. Anders als im ersten Vorlageverfahren ist die Entscheidungserheblichkeit hinreichend dargelegt (zu den Anforderungen vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 2016 – 1 BvL 7/15 -, Rn. 18 ff.). Grundsätzlich ist insoweit die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgeblich, soweit diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 126, 77 <97>; 127, 224 <244>; 131, 1 <15>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>; 138, 1 <15 Rn. 41>).

a) Die Entscheidungserheblichkeit ist hier für die Regelung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 in Verbindung mit § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2, 4 und 5 SGB II und auch für die Regelung des § 31b SGB II mit Ausnahme von § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II hinreichend dargelegt. Das vorlegende Gericht hat vertretbar aufgezeigt, dass die Leistungsabsenkungen formell wie materiell rechtmäßig sind, wenn die Verfassungskonformität dieser Regelungen unterstellt wird. Die Klage wäre dann, anders als im Fall der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelungen, abzuweisen.

b) Das Sozialgericht geht vertretbar davon aus, dass keine formellen Rechtsfehler vorliegen. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist vor Erlass des Minderungsbescheides nach § 24 SGB X angehört worden. Die Anforderungen an die Rechtsfolgenbelehrung oder die Kenntnis der Rechtsfolgen (zusammenfassend BSGE 105, 297 <302 f. Rn. 20 f.> m.w.N.) waren damit erfüllt. In Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II legt das Gericht plausibel dar, die erste Rechtsfolgenbelehrung als Bestandteil des Vermittlungsvorschlags vom 25. Februar 2014 sei für den Kläger unmissverständlich gewesen und habe erkennen lassen, welche konkreten Auswirkungen seine Weigerung haben werde, die vorgeschlagene Stelle anzunehmen. Vertretbar ist auch die Annahme, der Kläger habe positive Kenntnis der Sanktionsfolgen und insbesondere der zweiten Leistungsabsenkung gehabt. Dies war ausweislich der Niederschrift Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 2. August 2016, wonach sich der Kläger seit dem Bezug von Arbeitslosengeld II „intensiv mit den Sanktionsregelungen, insbesondere mit den Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen, durch Studium des Gesetzes und der einschlägigen Literatur befasst“ habe.

c) Das Gericht legt vertretbar dar, dass die materiellen Voraussetzungen für die Anwendung der vorgelegten Regelungen erfüllt sind. Insoweit ordnet es die Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebots als Lager- und Transportarbeiter als Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II ein. Als zweite Pflichtverletzung versteht es einen Verstoß gegen Anforderungen aus dem Eingliederungsverwaltungsakt im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, da der Kläger einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein mit dem Ziel der praktischen Erprobung bei einem selbstgewählten Arbeitgeber nicht eingelöst hat, ohne dass dafür ein wichtiger Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II ersichtlich oder vorgetragen sei. Das Gericht hatte daneben keinen Anlass zu einer Prüfung, ob die Minderung des Regelbedarfs wegen fehlender Sachleistung nach § 31a Abs. 3 SGB II rechtswidrig sein könnte. Ein darauf gerichteter Antrag war nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens, weshalb sich das Sozialgericht damit nicht befassen musste.

3. Das Sozialgericht hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten entscheidungserheblichen Vorschriften (vgl. BVerfGE 133, 1 <12 Rn. 39>; 136, 127 <142 Rn. 45>) ausreichend begründet. Dass sich das Gericht offensichtlich an einem öffentlich verfügbaren Muster orientierte, steht dem nicht entgegen, da die Vorlage zeigt, dass sich das Gericht eventuell andernorts formulierte Argumente jedenfalls zu eigen gemacht hat.

II.

Die Vorlagefrage bedarf der Erweiterung (dazu BVerfGE 139, 285 <297 Rn. 38> m.w.N.). Das Sozialgericht hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit von § 31a SGB II in Verbindung mit § 31 SGB II und § 31b SGB II in einem Verfahren vorgelegt, das sich einzig mit der Rechtmäßigkeit einer Sanktion nach § 31a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II nach Maßgabe des § 31b SGB II bei Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II befasste.

Die Vorlage betrifft nicht die weiteren Regelungen über Sanktionen nach § 31 Abs. 2 SGB II wegen unwirtschaftlichen Verhaltens und im Zusammenhang mit einer Sperrzeit oder nach § 32 SGB II wegen Meldeversäumnissen. Eine höhere Belastung von Betroffenen, die entstehen kann, wenn eine andere Leistungsminderung mit den hier zu prüfenden Sanktionen zusammentrifft, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung. Das Verfahren wirft auch keine Fragen zu den Bestimmungen über Sanktionen gegenüber unter 25-jährigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in § 31a Abs. 2, § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II auf. Die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz machte eine eigenständige verfassungsrechtliche Würdigung erforderlich, ohne durch das Ausgangsverfahren veranlasst zu sein. Dazu fehlt die fachgerichtliche Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage.

Demgegenüber besteht Anlass, die Sanktionen in den Fällen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II in die Prüfung einzubeziehen, da es sich um eine gleichgelagerte Mitwirkungspflicht handelt, um die zulässig vorgelegten Normen einheitlich beurteilen zu können. Desgleichen ist die Sanktionsregelung in § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II so gelagert wie die unmittelbar entscheidungserheblichen Sanktionsnormen der § 31a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II, weshalb auch sie in die Prüfung einzubeziehen ist.

C.

Im Ausgangspunkt steht die Entscheidung des Gesetzgebers in § 31a Abs. 1 SGB II, existenzsichernde Geldleistungen nach Maßgabe des § 31b SGB II zu mindern oder ganz zu entziehen, um Mitwirkungspflichten nach § 31 Abs. 1 SGB II durchzusetzen, mit den Anforderungen des Grundgesetzes in Einklang. Die Regelungen genügen aber in der konkreten Ausgestaltung nicht den hier geltenden strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.

I.

Die zentralen Anforderungen an den Gesetzgeber für die Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (1). Gesichert werden muss die physische und soziokulturelle Existenz als einheitliche Gewährleistung (1 a). Der Gesetzgeber darf sich dafür entscheiden, existenzsichernde Leistungen nur nach Maßgabe der Bedürftigkeit zur Verfügung zu stellen (1 b). Er verfügt insofern über einen Ausgestaltungsspielraum (1 c). Das Grundgesetz steht auch der Entscheidung nicht entgegen, staatliche Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz nur nachrangig zu gewähren und sie deshalb an Mitwirkungspflichten zu binden, die darauf zielen, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden, sofern sie gemessen an dieser Zielsetzung verhältnismäßig sind (2). Dem Gesetzgeber ist es dann nicht verwehrt, Instrumente zu schaffen, um derartige Mitwirkungspflichten durchzusetzen; auch sie müssen den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen. Entscheidet er sich hierbei wie mit den vorgelegten Regelungen für das Durchsetzungsinstrument der Leistungsminderungen, setzt er also im Bereich der Gewährleistung der menschenwürdigen Existenz selbst an, sind diese Anforderungen besonders streng (3). Bei der Ausgestaltung der Sanktionen sind im Übrigen weitere Grundrechte zu beachten, wenn ihr Schutzbereich berührt ist (4).

1. Die zu überprüfenden Regelungen zur Ausgestaltung des Grundsicherungsrechts müssen den Anforderungen der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums genügen. Das Grundgesetz garantiert mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch; das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG erteilt dem Gesetzgeber den Auftrag, ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich zu sichern. Das Grundrecht ist dem Grunde nach unverfügbar und muss durch einen Leistungsanspruch eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen im Hinblick auf die konkreten Bedarfe der Betroffenen auszurichten hat. Dem Gesetzgeber steht ein Gestaltungsspielraum zu. Bei dessen Ausfüllung hat er auch völkerrechtliche Verpflichtungen zu berücksichtigen (BVerfGE 142, 353 <369 f. Rn. 36> m.w.N.).

a) Der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel als einheitliche Gewährleistung zur Sicherung sowohl der physischen Existenz als auch zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben (vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; 132, 134 <172 Rn. 94>; 137, 34 <72 Rn. 75>; 142, 353 <370 Rn. 37>). Die Verankerung des Gewährleistungsrechts im Grundrecht des Art. 1 Abs. 1 GG bedeutet, dass Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung (Art. 1 Abs. 3 GG) den Menschen nicht auf das schiere physische Überleben reduzieren dürfen, sondern mit der Würde mehr als die bloße Existenz und damit auch die soziale Teilhabe als Mitglied der Gesellschaft gewährleistet wird. Es widerspräche dem nicht relativierbaren Gebot der Unantastbarkeit, wenn nur ein Minimum unterhalb dessen gesichert würde, was der Gesetzgeber bereits als Minimum normiert hat; insbesondere lässt sich die Gewährleistung aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG nicht in einen „Kernbereich“ der physischen und einen „Randbereich“ der sozialen Existenz aufspalten. Der Gesetzgeber kann auch weder für einen internen Ausgleich noch zur Rechtfertigung einer Leistungsminderung auf die Summen verweisen, die in der pauschalen Berechnung der Grundsicherungsleistungen für die soziokulturellen Bedarfe veranschlagt werden, denn die physische und soziokulturelle Existenz werden durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG einheitlich geschützt (vgl. BVerfGE 137, 34 <91 Rn. 117> m.w.N.).

b) Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus eigener Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für dieses menschenwürdige Dasein zur Verfügung stehen (vgl. BVerfGE 40, 121 <133 f.>; 125, 175 <222>; stRspr). Die den entsprechenden Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu, ist dem Grunde nach unverfügbar (vgl. BVerfGE 45, 187 <229>) und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>); sie kann selbst denjenigen nicht abgesprochen werden, denen schwerste Verfehlungen vorzuwerfen sind (vgl. BVerfGE 64, 261 <284>; 72, 105 <115>). Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind (vgl. BVerfGE 35, 202 <236>). Diese Verpflichtung zur Sicherung des Existenzminimums ist auch zur Erreichung anderweitiger Ziele nicht zu relativieren (vgl. BVerfGE 132, 134 <173 Rn. 95>).

c) Der Gesetzgeber verfügt bei den Regeln zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums über einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Art und Höhe der Leistungen (vgl. BVerfGE 125, 175 <222, 224 f.>; 132, 134 <159 ff. Rn. 62, 67>; 137, 34 <72 ff. Rn. 74, 76, 78>; 142, 353 <370 Rn. 38>). Er hat einen Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie bei der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs, muss seine Entscheidung jedoch an den konkreten Bedarfen der Hilfebedürftigen ausrichten (BVerfGE 142, 353 <370 Rn. 38> m.w.N.). Dass dem Gesetzgeber in der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse in soziokultureller Hinsicht ein weiterer Spielraum zukommt als in der Bewertung dessen, was Menschen zur Sicherung ihrer physischen Existenz benötigen (vgl. BVerfGE 125, 175 <225>; 132, 134 <161 Rn. 67>), trägt der höheren Wandelbarkeit der soziokulturellen Lebensbedingungen Rechnung, relativiert aber nicht den einheitlichen Schutz. Die Anforderungen des Grundgesetzes, tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge zu tragen, dürfen im Ergebnis nicht verfehlt werden (BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 38> m.w.N.).

Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 125, 175 <225>; 137, 34 <74 Rn. 80>). Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe zu entscheiden, wie hoch ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums sein muss; es ist zudem nicht seine Aufgabe zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung zur Erfüllung seiner Aufgaben gewählt hat. Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, durch Einbeziehung aller denkbaren Faktoren eine optimale Bestimmung des Existenzminimums vorzunehmen; darum zu ringen ist vielmehr Sache der Politik (vgl. BVerfGE 137, 34 <73 f. Rn. 77>). Aus verfassungsrechtlicher Sicht kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass die Untergrenze eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht unterschritten wird und die Höhe der Leistungen insgesamt tragfähig begründbar ist (BVerfGE 137, 34 <74 f. Rn. 80> m.w.N.). Auch im Übrigen muss die Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.

2. Das Grundgesetz kennt zwar keine allgemeinen Grundpflichten der Bürgerinnen und Bürger. Insbesondere die Menschenwürde ist ohne Rücksicht auf Eigenschaften und sozialen Status, wie auch ohne Rücksicht auf Leistungen garantiert (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>); sie muss nicht erarbeitet werden, sondern steht jedem Menschen aus sich heraus zu. Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können (vgl. BVerfGE 125, 175 <222>; 142, 353 <371 Rn. 39>; siehe auch BVerfGE 120, 125 <154 ff.>).

a) Auch der soziale Rechtsstaat ist darauf angewiesen, dass Mittel der Allgemeinheit, die zur Hilfe für deren bedürftige Mitglieder bestimmt sind, nur in Fällen in Anspruch genommen werden, in denen wirkliche Bedürftigkeit vorliegt (BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 39>). Eine daran anknüpfende Schonung der begrenzten finanziellen Ressourcen des Staates sichert diesem künftige Gestaltungsmacht gerade auch zur Verwirklichung des sozialen Staatsziels.

Mit der Entscheidung für den Nachranggrundsatz gestaltet der Gesetzgeber das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG aus. Die Staatszielbestimmung verpflichtet alle Staatsorgane unmittelbar, bedarf aber zu ihrer Verwirklichung in hohem Maße der Konkretisierung vor allem durch den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 65, 182 <193>; 71, 66 <80>). Er hat in seinem weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu entscheiden, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln das soziale Staatsziel verfolgt werden soll (vgl. BVerfGE 59, 231 <263>; 82, 60 <80>). Eine Grenze findet dies in der Verpflichtung, jedem Menschen ein menschenwürdiges Existenzminimum zu sichern (vgl. BVerfGE 125, 175 <222>). Der Gesetzgeber verfehlt diesen Auftrag nicht, wenn er die Gewährung staatlicher Hilfe davon abhängig macht, dass sich die Betroffenen nicht selbst helfen können. Er darf also den Gedanken der Subsidiarität verfolgen, wonach vorhandene Möglichkeiten der Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge haben.

b) Der Gesetzgeber kann den Nachranggrundsatz nicht nur durch eine Pflicht zum vorrangigen Einsatz aktuell verfügbarer Mittel aus Einkommen, Vermögen oder Zuwendungen Dritter zur Geltung bringen (vgl. BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 39>). Das Grundgesetz steht auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen.

Demgegenüber kann ein legitimes Ziel solcher Mitwirkungspflichten nicht darin gesehen werden, die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu fördern. Dem Grundgesetz ist ein solcher Paternalismus fremd. Es gibt keine „Vernunfthoheit“ staatlicher Organe über die Grundrechtsberechtigten (vgl. BVerfGE 142, 313 <339 Rn. 74> m.w.N.); vielmehr fordert das Grundgesetz Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung der Einzelnen (vgl. BVerfGE 142, 313 <344 Rn. 86>), ohne den hilflosen Menschen aber einfach sich selbst zu überlassen (vgl. BVerfGE 142, 313 <338 f. Rn. 73>). Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst ist (BVerfGE 49, 286 <298>). Das schließt Mitwirkungspflichten aus, die auf eine staatliche Bevormundung oder Versuche der „Besserung“ gerichtet sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>; zur historischen Entwicklung oben Rn. 5, 7).

c) Mitwirkungspflichten beschränken allerdings – ungeachtet damit eventuell verbundener Sanktionen – die Handlungsfreiheit der Betroffenen und bedürfen verfassungsrechtlicher Rechtfertigung. Verfolgt der Gesetzgeber mit Mitwirkungspflichten das legitime Ziel, dass Menschen die eigene Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Erwerbsarbeit vermeiden oder überwinden, müssen sie den an diesem Ziel ausgerichteten Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen, dafür also geeignet, erforderlich und zumutbar sein.

3. Der Gesetzgeber darf für sich genommen verhältnismäßige Mitwirkungspflichten auch durchsetzbar ausgestalten.

a) Das Grundgesetz steht der Entscheidung nicht entgegen, nicht nur positive Anreize zu setzen oder reine Obliegenheiten zu normieren. Der Gesetzgeber kann für den Fall, dass Menschen eine ihnen klar bekannte und zumutbare Mitwirkungspflicht ohne wichtigen Grund nicht erfüllen, auch belastende Sanktionen vorsehen, um so ihre Mitwirkung an der Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit durchzusetzen; er berücksichtigt ihre Eigenverantwortung, indem die Betroffenen die ihnen bekannten Folgen zu tragen haben, die das Gesetz an ihr Handeln knüpft.

Wird die Verletzung einer Mitwirkungspflicht durch eine Minderung existenzsichernder Leistungen sanktioniert, fehlen der bedürftigen Person allerdings Mittel, die sie benötigt, um die Bedarfe zu decken, die ihr eine menschenwürdige Existenz ermöglichen. Mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz kann eine Leistungsminderung dennoch vereinbar sein. Sie kann die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Dann dient die Leistungsminderung wie auch die Pflicht, die mit ihr durchgesetzt werden soll, dazu, den existenznotwendigen Bedarf auf längere Sicht nicht mehr durch staatliche Leistung, sondern durch die Eigenleistung der Betroffenen zu decken. Der Gesetzgeber kann insofern staatliche Leistungen zur Sicherung der Existenz auch mit der Forderung von und Befähigung zu eigener Existenzsicherung verbinden.

b) Es gelten jedoch strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit. Denn die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten steht in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Bedürftige erhalten in der Zeit der geminderten Leistungen tatsächlich nicht, was sie zur Existenzsicherung benötigen, ohne selbst unmittelbar zur Existenzsicherung in der Lage zu sein. Der Gesetzgeber enthält vor, was er nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zu gewährleisten hat; er suspendiert, was Bedürftigen grundrechtlich gesichert zusteht, und belastet damit außerordentlich.

Derartige Leistungsminderungen sind nur verhältnismäßig, wenn die Belastungen der Betroffenen auch im rechten Verhältnis zur tatsächlichen Erreichung des legitimen Zieles stehen, die Bedürftigkeit zu überwinden, also eine menschenwürdige Existenz insbesondere durch Erwerbsarbeit eigenständig zu sichern. Ihre Zumutbarkeit richtet sich vor allem danach, ob die Leistungsminderung unter Berücksichtigung ihrer Eignung zur Erreichung dieses Zwecks und als mildestes, gleich geeignetes Mittel in einem angemessenen Verhältnis zur Belastung der Betroffenen steht. Das setzt insbesondere voraus, dass es den Betroffenen tatsächlich möglich ist, die Minderung staatlicher Leistungen durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung wiederzuerlangen. Die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG sind daher nur gewahrt, wenn die zur Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs erforderlichen Leistungen für Bedürftige jedenfalls bereitstehen und es in ihrer eigenen Verantwortung liegt, in zumutbarer Weise die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die Leistung auch nach einer Minderung wieder zu erhalten.

c) Hier ist der sonst bestehende Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers beschränkt. Zwar verfügt er regelmäßig über einen weiten Spielraum, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen auch im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren, und kann sich dabei auch mit geringen Erfolgswahrscheinlichkeiten begnügen. Doch ist der Spielraum enger, wenn er auf existenzsichernde Leistungen zugreift. Der Gesetzgeber muss der Wahl und Ausgestaltung seines Konzepts eine verfassungsrechtlich tragfähige Einschätzung zugrunde legen; soweit er sich auf Prognosen über tatsächliche Entwicklungen und insbesondere über die Wirkungen seiner Regelung stützt, müssen diese hinreichend verlässlich sein (vgl. BVerfGE 88, 203 <262>). Je länger eine Minderungsregel in Kraft ist und der Gesetzgeber damit in der Lage, fundierte Einschätzungen zu erlangen, umso weniger genügt es, sich auf plausible Annahmen zur Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen zu stützen. Umso tragfähigerer Erkenntnisse bedarf es dann, um die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit dieser Sanktionen zu belegen (zur abnehmenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers: BVerfGE 143, 216 <245 Rn. 71>).

4. Weitere grundrechtliche Maßgaben sind nur dann zu beachten, wenn deren Schutzbereich berührt ist (vgl. BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 39>). Insoweit müssen Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten, die auf die eigenständige Existenzsicherung gerichtet sind, etwa dem Schutz der Familie aus Art. 6 GG, dem Schutz der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und dem Schutz der Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 GG Rechnung tragen.

II.

Die zu überprüfenden Regelungen sind zwar im Ausgangspunkt mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber kann erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die in § 31 Abs. 1 SGB II geregelten Pflichten auferlegen, damit diese zumutbar an der Überwindung der eigenen Bedürftigkeit selbst aktiv mitwirken (1). Er kann sich auch dafür entscheiden, die in § 31 Abs. 1 SGB II normierten Pflichten nach § 31a und § 31b SGB II, wenn nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II kein wichtiger Grund für ihre Nichterfüllung vorliegt, mit der Sanktion durchzusetzen, dass Leistungen in Höhe des für die Person maßgebenden Regelbedarfs im Sinne des § 20 SGB II vorübergehend gemindert werden (2). Die gesetzliche Ausgestaltung der Minderungen wird jedoch vor dem Hintergrund derzeit nur begrenzter Erkenntnisse zu den Wirkungen solcher Sanktionen den dafür geltenden strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit in verschiedener Hinsicht nicht gerecht.

Zwar verfolgt der Gesetzgeber mit § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 in Verbindung mit § 31b SGB II ein legitimes Ziel (2 a). Die weiteren Anforderungen der Verhältnismäßigkeit sind jedoch nicht vollständig erfüllt (2 b). Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Minderung um 30 % vom maßgebenden Regelbedarf ist für sich genommen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu beanstanden. Doch genügen den hier strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit die nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II in der derzeitigen Ausgestaltung zwingende Vorgabe, auch in Fällen außergewöhnlicher Härte existenzsichernde Leistungen zu mindern, und die nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starr vorgegebene Dauer nicht (2 b aa). Mit § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II kann sich der Gesetzgeber zudem grundsätzlich dafür entscheiden, im Fall wiederholter Pflichtverletzung erneut zu sanktionieren. Eine Minderung in dieser Höhe ist jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand jedenfalls nicht zumutbar. Das gilt auch hier für die zwingende und starr andauernde Ausgestaltung (2 b bb). Ebenso wenig ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand der völlige Wegfall des Arbeitslosengeldes II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II verfassungsrechtlich zu rechtfertigen (2 b cc).

1. Die Entscheidung des Gesetzgebers, erwerbsfähige Erwachsene nach § 31 Abs. 1 SGB II zu einer nach § 10 SGB II zumutbaren Mitwirkung zu verpflichten, um ihre Hilfebedürftigkeit zu überwinden oder zu verhindern, ist mit dem Grundgesetz vereinbar.

a) Der Gesetzgeber verfolgt mit den durch die vorgelegten Regelungen sanktionierten Mitwirkungspflichten nach § 31 Abs. 1 SGB II zwecks Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit legitime Ziele. Er bindet Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz im Grundsicherungsrecht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II an die Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 1 SGB II. Eine solche wirkliche Bedürftigkeit darf der Staat voraussetzen, bevor er selbst Leistungen zur Verfügung stellt, um die Existenz zu sichern (vgl. BVerfGE 125, 175 <222>; 142, 353 <371 Rn. 39>; oben Rn. 123).

Die in § 31 Abs. 1 SGB II normierten Mitwirkungspflichten entsprechen dem Nachranggrundsatz (oben Rn. 123 ff.); sie konkretisieren den gesetzlich normierten Grundsatz des Forderns aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wonach erwerbsfähige Hilfebedürftige alle Möglichkeiten ausschöpfen müssen, um ihre Hilfebedürftigkeit zu beenden oder zu verringern (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 60). Dies dient auch dem legitimen Ziel einer Schonung der Mittel der Allgemeinheit (oben Rn. 124).

Gegen die Ausgestaltung der Mitwirkungspflichten in § 31 Abs. 1 SGB II bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die dort geregelten Mitwirkungspflichten zielen auf die Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Erwerbsarbeit, nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB II durch Eingliederung in Arbeit, nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB II durch eine zumutbare Arbeitsgelegenheit, wenn Erwerbsarbeit in absehbarer Zeit nicht möglich ist, und nach § 2 Abs. 2 SGB II durch den sonstigen Einsatz eigener Arbeitskraft. Verfassungsrechtlich unbedenklich sind solche Mitwirkungspflichten insbesondere, wenn sie unmittelbar auf die Erzielung eigener Einkünfte gerichtet sind. Das gilt aber auch für Pflichten, deren Erfüllung zwar nicht unmittelbar Einkünfte erbringt, die sich aber mittelbar auf die Integration in Arbeit beziehen und damit auf die Überwindung der Hilfebedürftigkeit bezogen sind. In der mündlichen Verhandlung wurde vielfach dargelegt, dass die unmittelbare Vermittlung in den Arbeitsmarkt von Personen, die bereits längere Zeit erwerbslos sind, keinen Schulabschluss oder keine berufliche Qualifikation haben oder aber multiple Vermittlungshemmnisse aufweisen, häufig nicht möglich sei (oben Rn. 59, 95, 103). Das rechtfertigt Pflichten, die auf den Abbau dieser Vermittlungshemmnisse gerichtet sind, denn sie sollen einen zwar nur mittelbaren, aber langfristigen Beitrag zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt leisten. Daher kann der Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II auch fordern, dass eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit angetreten, nicht abgebrochen und kein Anlass für den Abbruch gegeben wird. Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Pflicht zur Fortführung zumutbarer Arbeit nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II, weil so der Eintritt von Hilfebedürftigkeit ganz oder teilweise vermieden werden kann. Verfassungswidrig wären demgegenüber Mitwirkungsanforderungen, die von vornherein ungeeignet sind, Menschen zumindest mittelbar wieder in Erwerbsarbeit zu bringen; Mitwirkungspflichten dürfen auch in der Praxis nicht zur Bevormundung, Erziehung oder Besserung missbraucht werden (zur historischen Entwicklung oben Rn. 5 ff.; zu den Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 GG oben Rn. 127).

b) Die in § 31 Abs. 1 SGB II geregelten Mitwirkungspflichten sind im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, das legitime Ziel der Rückkehr in Erwerbsarbeit zu erreichen. Zwar wurde in der mündlichen Verhandlung berichtet, dass die Mitwirkungsmaßnahmen nach § 31 Abs. 1 SGB II selbst unter Berücksichtigung ihrer langfristigen mittelbaren Effekte nur in einem vergleichsweise geringen Teil der Fälle dazu führen, dass die Betroffenen in dauerhafte reguläre Arbeitsverhältnisse (zurück-) finden (oben Rn. 62, 66). Dies scheint jedoch auch daran zu liegen, dass hier vielfach Menschen mit grundlegenden und mehrfachen Beschäftigungshindernissen betroffen sind. Andere kehren offenbar, auch unterstützt durch die befristeten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch, häufig in reguläre Beschäftigung zurück, bevor das Sozialgesetzbuch Zweites Buch überhaupt Anwendung findet.

Ist eine Mitwirkungspflicht hingegen wegen besonderer Umstände des Einzelfalls von vornherein ungeeignet, ihr Ziel zu erreichen, muss dies im Rahmen der nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorzunehmenden Prüfung aufgefangen werden, ob ein „wichtiger Grund“ für die fehlende Mitwirkung vorhanden ist. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist sicherzustellen, dass es den Hilfebedürftigen möglich ist, etwaige besondere Umstände wie familiäre oder gesundheitliche Probleme oder eine Diskriminierung am aufgegebenen Arbeitsplatz darzulegen, die bei objektiver Betrachtung der geforderten Mitwirkung entgegenstanden und auch einer künftigen Mitwirkung entgegenstehen können. Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, gelingt dies den Hilfebedürftigen bei einer nur schriftlichen Anhörung vor der Feststellung der Pflichtverletzung oftmals nicht. Daher muss ihnen bei entsprechenden Anhaltspunkten Gelegenheit gegeben werden, ihre persönliche Situation nicht nur schriftlich, sondern auch im Rahmen einer – in der Praxis bislang seltenen (vgl. Bundesrechnungshof, Unterrichtung an die Bundesagentur für Arbeit über die Prüfung der Umsetzung der Sanktionsmöglichkeiten nach § 31 SGB II, 2012, S. 5) – mündlichen Anhörung vortragen zu können.

Im Ergebnis steht danach außer Frage, dass die Mitwirkungspflichten nach § 31 Abs. 1 SGB II jedenfalls dazu beitragen, auch Menschen mit großen Schwierigkeiten wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Dies genügt, um diese Mitwirkungspflichten für sich genommen (zu den daran anknüpfenden Sanktionen unten Rn. 154 ff.) im verfassungsrechtlichen Sinne für geeignet zu halten. Wäre demgegenüber erkennbar, dass die Auferlegung von Pflichten regelmäßig dazu führt, dass der Kontakt zum Jobcenter ganz abbricht, also ein in den empirischen Untersuchungen und Stellungnahmen beschriebener „Ausstieg aus dem System“ bewirkt wird (oben Rn. 65 f.), wären sie zur Durchsetzung legitimer Ziele nicht geeignet und mit der Verfassung nicht zu vereinbaren. Es ist jedoch nicht zu erkennen, dass dies der Fall ist. Insoweit begegnet § 31 Abs. 1 SGB II keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

c) Der Gesetzgeber überschreitet mit § 31 Abs. 1 SGB II nicht seinen Einschätzungsspielraum zur Erforderlichkeit. Es ist nicht evident, dass weniger belastende Mitwirkungshandlungen oder positive Anreize dasselbe bewirken könnten wie die dort geregelten Maßgaben.

d) Die Ausgestaltung der Mitwirkungspflichten in § 31 Abs. 1 SGB II trägt den Anforderungen der Zumutbarkeit als Maßgabe der Verhältnismäßigkeit Rechnung.

aa) Einfachrechtlich hat der Gesetzgeber die Mitwirkungspflichten mit § 10 SGB II an deren Zumutbarkeit gebunden (oben Rn. 23). Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II liegt eine Pflichtverletzung ausdrücklich nur vor, wenn eine „zumutbare“ Tätigkeit in Rede steht; nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II geht es um eine „zumutbare“ Maßnahme der Eingliederung in Arbeit. In § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II findet sich diese Anforderung zwar nicht ausdrücklich. Die dort in Bezug genommene Eingliederungsvereinbarung (§ 15 Abs. 2 SGB II) oder der sie ersetzende Verwaltungsakt dürfen jedoch nur Pflichten festlegen, die für sich genommen nach § 10 SGB II zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung der Leistungsberechtigten stellen. Das trägt den verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung.

bb) Der Gesetzgeber überschreitet seinen Gestaltungsspielraum nicht deshalb, weil er – anders als im Recht der Arbeitsförderung (oben Rn. 24) – keinen Berufsschutz normiert hat. Das Recht der Sozialversicherung und das Grundsicherungsrecht sind strukturell in einem Maße verschieden, das diese ungleiche Regelung rechtfertigt. Im Übrigen ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 GG kein Recht auf einen bestimmten Arbeitsplatz oder unveränderten Arbeitslohn.

Die im Rahmen von § 31 Abs. 1 SGB II durchgängig zu berücksichtigende Regelung zur Zumutbarkeit in § 10 Abs. 2 SGB II ist daher auch insoweit nicht zu beanstanden, als andere als bislang ausgeübte (Nr. 1), geringerwertige (Nr. 2), aufwendigere (Nr. 3 und Nr. 4) oder nicht gewünschte, aber besser entlohnte Tätigkeiten (Nr. 5) als zumutbar gelten. Im Übrigen ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB II eine Mitwirkungspflicht ausgeschlossen, wenn sie die Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit wesentlich erschweren würde, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellt, was letztlich auch dem Schutz der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dient.

cc) Darüber hinaus ist nicht erkennbar, dass, wie das vorlegende Gericht meint, eine der in § 31 Abs. 1 SGB II benannten Mitwirkungspflichten gegen das in Art. 12 Abs. 2 GG verankerte Verbot der Zwangsarbeit verstoßen würde. Gleichermaßen steht Art. 12 Abs. 1 GG einer Mitwirkungspflicht nicht entgegen, die eigene Hilfebedürftigkeit durch eine Erwerbstätigkeit zu überwinden, die nicht dem eigenen Berufswunsch entspricht.

Auch im Lichte des einschlägigen Völkervertragsrechts – Art. 4 Abs. 2 EMRK, Übereinkommen Nr. 29 der ILO vom 28. Juni 1930 sowie Art. 6 und 7 IPwskR – bestehen keine Bedenken, da nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 in Verbindung mit § 10 SGB II keine unnötig beschwerliche oder gar schikanöse Tätigkeit verlangt werden darf (dazu BVerfGE 74, 102 <121> unter Hinweis auf die Spruchpraxis der damaligen Europäischen Kommission für Menschenrechte; sodann EGMR, Entscheidung vom 23. November 1983, 8919/80, EuGRZ 1985, S. 477 <481 f.>).

dd) Ebenso hat der Gesetzgeber in den allgemeinen Zumutbarkeitsregelungen, die auch für die Mitwirkungspflichten gelten, den grundrechtlichen Schutz der Familie (Art. 6 GG) berücksichtigt. Er gibt in § 10 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4 SGB II vor, dass die Erziehung von Kindern je nach dem Lebensalter und der Betreuungssituation und die Pflege von Angehörigen durch Mitwirkungsanforderungen im Sozialrecht nicht gefährdet werden dürfen. Damit trägt er den verfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung.

2. Die Entscheidung des Gesetzgebers, im Grundsicherungsrecht nicht nur zumutbare Mitwirkungspflichten vorzusehen, um die Bedürftigkeit zu überwinden und insbesondere Menschen wieder in Arbeit zu bringen, sondern diese Pflichten in §§ 31a, 31b SGB II mit Sanktionen durchzusetzen, ist verfassungsrechtlich im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden, weil er damit ein legitimes Ziel verfolgt (a). Die derzeitige Ausgestaltung dieser Sanktionen in §§ 31a, 31b SGB II genügt allerdings den hier strengen verfassungsrechtlichen Maßgaben nicht (b).

a) Der Gesetzgeber verfolgt mit den Sanktionsregelungen in § 31a Abs. 1, § 31b SGB II zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten nach § 31 Abs. 1 SGB II ein legitimes Ziel.

aa) Der Gesetzgeber hat sich in §§ 31a, 31b SGB II entschieden, die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Beseitigung von Hilfebedürftigkeit nicht nur über Anreize zu fördern, sondern Mitwirkung an der Beseitigung der eigenen Hilfebedürftigkeit auch sanktionsbewehrt zu fordern (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 47). Die Regelungen der §§ 31a, 31b SGB II in Verbindung mit § 31 Abs. 1 SGB II folgen damit der für das derzeitige System der Grundsicherung grundlegenden, mit Blick auf die Finanzierbarkeit gerechtfertigten Weichenstellung des „Förderns und Forderns“ (oben Rn. 2, 124); mit den in § 31a Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB II festgelegten Minderungen der Geldleistungen des Regelbedarfs und dem in § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II festgelegten Wegfall des gesamten Arbeitslosengeldes II sollen für sich genommen verhältnismäßige Mitwirkungspflichten nach § 31 Abs. 1 SGB II (oben Rn. 138 ff.) durchgesetzt werden. Wie die Mitwirkungspflichten selbst verfolgen damit auch zu ihrer Durchsetzung verhängte Sanktionen ein legitimes Ziel.

bb) Hingegen ließen sich die zur Prüfung gestellten Sanktionsregelungen von vornherein nicht mit dem für sich genommen legitimen Ziel rechtfertigen, auf verminderte Bedarfe zu reagieren. Die in § 31a Abs. 1 SGB II normierten Leistungsminderungen orientieren sich nicht an Bedarfen. Sie sind vielmehr als pauschale Sanktionen konzipiert, um beim ersten Mal bereits deutlich spürbar und im Wiederholungsfall mit zunehmender Härte auf Pflichtverletzungen zu reagieren. Eine Minderung, durch die der Regelbedarf ungedeckt bleibt, führt unweigerlich dazu, dass der einer bedürftigen Person tatsächlich gezahlte Betrag nicht dem entspricht, was zur Gewährleistung des einheitlichen, physische und soziokulturelle Bedarfe umfassenden menschenwürdigen Existenzminimums benötigt wird.

cc) Die in § 31a Abs. 1 SGB II vorgegebenen Leistungsminderungen lassen sich auch nicht unter Verweis darauf rechtfertigen, entzogen würden lediglich Leistungen für soziale Teilhabe und es verbleibe ein „Kernbereich“ (dagegen auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013 – L 20 AY 153/12 B ER -, juris, Rn. 53). Aus dem Grundrecht auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG folgt, dass sich der verfassungsrechtlich in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als einheitliche Gewährleistung (vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; 132, 134 <172 Rn. 94>) auch auf Mittel zur Sicherung eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben erstreckt (vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; 132, 134 <160 Rn. 64>; 137, 34 <72 Rn. 75>; 142, 353 <370 Rn. 37>). Schon deshalb sind diejenigen Mittel, die der Gesetzgeber für soziale Teilhabe pauschal im Rahmen des Gesamtbudgets veranschlagt, ebenso wenig verfügbar (vgl. BVerfGE 137, 34 <91 Rn. 117>; oben Rn. 119) wie die Mittel, die für andere Bedarfe zur Verfügung gestellt werden.

b) Die hier zu überprüfenden gesetzlichen Regelungen sind aber nicht in jeder Hinsicht verhältnismäßig. Nur die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30 % ist derzeit auf der Grundlage plausibler Annahmen hinreichend tragfähig begründbar. Hingegen genügt die weitere Ausgestaltung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht (aa). Es steht dem Gesetzgeber zwar frei, im Fall der wiederholten Verletzung einer Pflicht zu zumutbarer Mitwirkung erneut Sanktionen zu verhängen, doch sind Minderungen existenzsichernder Leistungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II in einer Höhe von 60 % des Regelbedarfs im Ergebnis jedenfalls unzumutbar (bb). Der in § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II vorgegebene vollständige Wegfall existenzsichernder Leistungen ist mit den Anforderungen des Grundgesetzes ebenfalls nicht zu vereinbaren (cc).

aa) Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Minderung der Leistungen des maßgebenden Regelbedarfs um 30 % ist in der Höhe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist schon die Belastungswirkung einer Minderung um 30 % des Regelbedarfs außerordentlich (1) und die Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit sind entsprechend hoch. Hier kann sich der Gesetzgeber jedoch auf plausible Annahmen zu ihrer Eignung stützen (2) und davon ausgehen, dass mildere Mittel nicht ebenso effektiv wären (3). Zumutbar ist eine Leistungsminderung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs jedoch nur, wenn in einem Fall außergewöhnlicher Härte von der Sanktion abgesehen werden kann und die Minderung nicht unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starr andauert (4).

(1) Mit § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II hat sich der Gesetzgeber für eine harte Belastung der Betroffenen entschieden. Es entfallen – in der fiktiven und pauschalen Berechnung, also ohne Rücksicht auf die von den Sanktionen betroffenen Lebenslagen mit häufigen mehrfachen Hürden einer Vermittlung in Arbeit – Leistungen, die Kleidung und Schuhe, Haushalt, Freizeit, Bildung oder auch Kommunikation und Verkehr abdecken sollen; nach anderen Berechnungen verbleibt neben den Posten für Nahrung, Kleidung und Energie über drei Monate hinweg ein Tagesbudget von 1 Euro (vgl. die Berechnungen bei Berlit, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl. 2013, § 23 Rn. 12). Dabei lässt sich nicht darauf verweisen, hier könne auf soziokulturelle Teilhabebedarfe verzichtet werden. Verfassungsrechtlich hat der Gesetzgeber zwar einen Entscheidungsspielraum bei der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse und der wertenden Einschätzung des notwendigen Bedarfs, der sich für die unterschiedlichen Bedarfe auch unterscheidet (vgl. BVerfGE 142, 353 <370 Rn. 38> m.w.N.; oben Rn. 121), doch ist eine Hierarchisierung der Bedarfe aufgrund der einheitlichen Gewährleistung nicht zulässig (vgl. BVerfGE 125, 175 <223>; 132, 134 <172 Rn. 94>; oben Rn. 119). Die Minderung unterscheidet sich schließlich auch von einer Aufrechnung, die zeitversetzt eine Überzahlung ausgleicht (vgl. BSGE 121, 55 <64 Rn. 38 ff.>), wohingegen hier dauerhaft eine Leistung entfällt.

Die Minderung belastet zudem gegebenenfalls auch Dritte. Zwar hat das Bundessozialgericht entschieden, dass in der Bedarfsgemeinschaft ein gewisser Schutz vor Wohnungslosigkeit greift (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 50/13 R -, Rn. 22; oben Rn. 45). Dennoch wirkt sich die Minderung bei nur einem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf die Gemeinschaft belastend aus (oben Rn. 65). Auch der Gesetzgeber geht bei der Berechnung des Regelbedarfs davon aus, dass in der Bedarfsgemeinschaft „aus einem Topf“ (BVerfGE 142, 353 <371 Rn. 39>) gewirtschaftet wird.

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass in den Fällen der ersten Pflichtverletzung und anders als bei Wegfall des Arbeitslosengeldes II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II die Mehrbedarfe nach § 21 SGB II und die Kosten der Unterkunft und Heizung weiter geleistet werden. Zudem können für einmalige Bedarfsspitzen vom Regelbedarf umfasste Bedarfe nach § 24 Abs. 1 SGB II auch im Minderungszeitraum als Darlehen gewährt werden, dessen Rückzahlung das Jobcenter nach § 44 SGB II erlassen kann (vgl. BSGE 121, 55 <66 Rn. 44>).

Der Gesetzgeber hat zudem mittlerweile weitere Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass die Leistungsminderung um 30 % mit anderen Verringerungen des Regelbedarfs wie einer Aufrechnung (§ 43 SGB II) oder den Rückzahlungen solcher Darlehen (§ 42a SGB II) zusammentrifft (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Reform der Sanktionen im SGB II vom 11. Juni 2013, S. 14 f.). Seit dem 1. August 2016 ist eine Aufrechnung nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht zulässig für Zeiträume, in denen der Auszahlungsanspruch nach § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II um mindestens 30 % gemindert ist (Neuntes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016, BGBl I S. 1824 <1832>). § 42a Abs. 2 Satz 2 SGB II verweist seitdem auf § 43 Abs. 3 SGB II, so dass ein Darlehen während einer Minderung nicht mehr getilgt wird. Dennoch bleibt die Belastung durch die Minderung des maßgebenden Regelbedarfs, den der Gesetzgeber zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz festgelegt hat, hart.

(2) Die Regelung einer Leistungsminderung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II im Fall einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II ist im verfassungsrechtlichen Sinne vom Ausgangspunkt her hier nicht ungeeignet, den gewünschten Erfolg der Mitwirkung an der Beseitigung der eigenen Hilfebedürftigkeit und der Integration in den Arbeitsmarkt im Recht der Grundsicherung zu fördern (a). Allerdings erlaubt eine zwingende Vorgabe das Absehen von der Sanktion selbst dann nicht, wenn sie zur Zweckerreichung offensichtlich ungeeignet ist (b). Auch kann die nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II unabhängig von der Mitwirkung der Betroffenen starre Vorgabe eines Minderungszeitraums von drei Monaten dazu führen, dass Sanktionen andauern, obwohl sie im konkreten Fall den verfolgten Zweck nicht oder nicht mehr erreichen (c). Der generellen Eignung steht das jedoch nicht entgegen.

(a) Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Eignung stehen der Entscheidung des Gesetzgebers, für eine erste Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB II eine Minderung der Regelbedarfsleistungen in Höhe von 30 % vorzugeben, nicht entgegen.

(aa) Der Gesetzgeber verfügt in der Beurteilung der Eignung einer Regelung über eine Einschätzungsprärogative. Verfassungsrechtlich genügt grundsätzlich, wenn die Möglichkeit der Zweckerreichung besteht (vgl. BVerfGE 63, 88 <115>; 67, 157 <175>; 96, 10 <23>; 146, 164 <202 Rn. 101>; stRspr). Der Spielraum des Gesetzgebers bezieht sich insofern auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse, der etwa erforderlichen Prognose und der Wahl der Mittel, um seine Ziele zu erreichen. Doch ist dieser Einschätzungsspielraum hier begrenzt, weil die Leistungsminderung als Mittel zur Erreichung legitimer Zwecke das grundrechtlich geschützte Existenzminimum berührt (oben Rn. 134). Die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II suspendiert, was Bedürftigen nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG zur Sicherung eines menschenwürdigen Lebens zusteht.

(bb) Es ist ausweislich der derzeit vorliegenden Erkenntnisse (oben Rn. 57 ff.) zweifelhaft, ob mit der Leistungsminderung tatsächlich in größerem Umfang erreicht wird, dass Menschen die in § 31 Abs. 1 SGB II benannten Pflichten erfüllen und letztlich wieder Arbeit suchen und finden. Schon die Mitwirkungspflichten an der Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit in § 31 Abs. 1 SGB II führen nur eingeschränkt dazu, dass die Hilfebedürftigen wieder dauerhaft in Arbeit finden; die Erfolgsquote ist teilweise sehr begrenzt. Damit ist auch die Effektivität der zur Durchsetzung dieser Maßnahmen gedachten und letztlich auf Wiedereingliederung in Erwerbstätigkeit zielenden Sanktionen von vornherein begrenzt. Selbst wenn diese Sanktionen den erwünschten Lenkungseffekt vollständig erzielten, ginge ihre Eignung zur Erreichung des eigentlichen Ziels der Eingliederung in Arbeit nicht über diejenige der durchzusetzenden Pflichten hinaus. Die Sanktion der Verletzung einer Mitwirkungspflicht kann insofern keine größere Wirkung entfalten als die Mitwirkungspflicht selbst. Ungewiss ist darüber hinaus die unmittelbare Lenkungswirkung der Sanktion selbst. Ob und in welchem Maße die in § 31a SGB II vorgesehenen Leistungsminderungen überhaupt bewirken, dass die Betroffenen ihren Pflichten aus § 31 Abs. 1 SGB II nachkommen, ist auch nicht durch differenzierte Daten belegt. Dargelegt sind hingegen negative Effekte von Leistungsminderungen (ausführlich oben Rn. 65 f.).

(cc) Doch liegt es im Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Sanktion in der Höhe von 30 % der Minderung des maßgebenden Regelbedarfs derjenigen, die eine Mitwirkungspflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II verletzt haben, für geeignet zu halten, sein Ziel zu erreichen.

(α) Der Gesetzgeber kann sich auf Studien stützen, nach denen die Beschäftigungswahrscheinlichkeit bei Personen, denen gegenüber eine erste Leistungsminderung in dieser begrenzten Höhe ausgesprochen wurde, jedenfalls grundsätzlich erhöht sei, auch wenn über die Qualität der Beschäftigung etwa in Hinblick auf Dauer, Entlohnung oder Ausbildungsadäquanz keine klaren Aussagen getroffen werden können (ausführlich oben Rn. 60 ff.). In der mündlichen Verhandlung wurde teilweise vorgetragen, dass Minderungen in einer Höhe von 30 % eine Lenkungswirkung entfalteten; es handele sich für die Jobcenter um ein wichtiges Instrument, um auf die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit hinwirken zu können.

(β) Der Gesetzgeber kann auch von einer ex ante-Wirkung der Leistungsminderungen ausgehen. Er kann insofern als Indiz werten, dass die überwältigende Mehrheit der Leistungsberechtigten ihre Mitwirkungspflichten erfüllt. Zudem darf er sich auf die Hinweise stützen, wonach die Androhung von Sanktionen notwendig sei, um zur Mitwirkung anzuhalten (oben Rn. 62 f., 93).

(γ) Der Gesetzgeber hat zudem Vorkehrungen getroffen, die den Zusammenhang zwischen der Mitwirkungspflicht zwecks eigenständiger Existenzsicherung und der Leistungsminderung zu deren Durchsetzung stärken.

So müssen die Pflichten nach § 31 Abs. 1 in Verbindung mit § 10 SGB II für die Betroffenen zumutbar sein (oben Rn. 23). Hinsichtlich der Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II gilt überdies, dass sie nach § 15 Abs. 1 und 3 SGB II mit Blick auf die individuellen Fähigkeiten und die individuelle Lebenssituation des Leistungsberechtigten festgelegt und in regelmäßigen Abständen daraufhin überprüft werden, ob sie insoweit nach wie vor geeignet sind (vgl. BSGE 121, 261 <265 Rn. 18>; 121, 268 <273 Rn. 18>).

Auch liegt keine Pflichtverletzung vor, wenn sich die Hilfebedürftigen für ihr Verhalten auf einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II berufen können. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff soll Ausnahmen erfassen, die vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt wurden oder nicht vorhersehbar waren. Er erfasst besondere Umstände des Einzelfalles wie beispielsweise schwierige familiäre Verhältnisse, gesundheitliche Probleme oder Diskriminierungen im vormaligen Arbeitsverhältnis (vgl. Sonnhoff, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 31 Rn. 103 ff.). Damit kann verhindert werden, dass Betroffene zur Vermeidung von Sanktionen Mitwirkungshandlungen erbringen müssten, durch die das Ziel, ihre Bedürftigkeit zu überwinden, angesichts der besonderen Umstände ihres Falles von vornherein nicht erreicht werden könnte. Der wichtige Grund muss objektiv vorliegen; entsprechende Tatsachen im Verantwortungsbereich der Betroffenen müssen diese darlegen und erforderlichenfalls nachweisen (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 60). Im Übrigen gilt auch hier der Grundsatz der Amtsermittlung (oben Rn. 53). Der Träger der Grundsicherung muss also – gegebenenfalls nach Gelegenheit zu mündlicher Anhörung – von Amts wegen prüfen, ob ein wichtiger Grund vorliegt, der die Pflichtverletzung begründet, und eine Sanktion nach §§ 31a, 31b SGB II damit entfällt. Das trägt dazu bei, dass die Sanktion auch die angestrebten Zwecke erreicht.

Desgleichen fördern die für diese Sanktionen geltenden besonderen Anforderungen an das Verfahren, dass der Zweck erreicht wird. So muss bereits die Pflicht aus § 31 Abs. 1 SGB II klar und eindeutig bestimmt werden (oben Rn. 20). Dazu kommt die Rechtsfolgenbelehrung mit ihrer Warnfunktion (vgl. BSGE 102, 201 <211 Rn. 36 – 37>; oben Rn. 26); sie ist nur verzichtbar, wenn – wie im hiesigen Ausgangsverfahren (oben Rn. 68 ff.) – positive Kenntnis von den Rechtsfolgen vorliegt. So ist gesichert, dass die Betroffenen wissen, was konkret auf sie zukommt, wenn sie die Mitwirkung verweigern. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, schon mit der Androhung der Sanktion die Erfüllung der Mitwirkungspflicht zu fördern und trägt damit zur Eignung von Leistungsminderungen zur Durchsetzung der Mitwirkungspflicht bei. So wird eine Sanktionierung derjenigen vermieden, die nicht eindeutig wissen, was von ihnen verlangt wird und was auf eine Weigerung folgt. Des Weiteren müssen die Betroffenen vor der Feststellung einer Pflichtverletzung nach § 31b Abs. 1 Satz 1 SGB II gemäß § 24 SGB X angehört werden. Die Feststellung der Minderung ist nach § 31b Abs. 1 Satz 5 SGB II zudem nur innerhalb von sechs Monaten nach der Pflichtverletzung zulässig.

(dd) Im Ergebnis ist der Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II eine generelle Eignung zur Erreichung ihres Zieles nicht abzusprechen. Die Entscheidung für diese Ausgestaltung des Sozialrechts beruht auf einer prognostischen Einschätzung einer Vielzahl von Fällen, in denen Sanktionen vor allem ex ante-Wirkung entfalten sollen, um Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenslagen schon von vornherein zur Mitwirkung an der Beseitigung der eigenen Hilfebedürftigkeit zu bewegen. Dies genügt angesichts der sonstigen Vorkehrungen (oben Rn. 171 ff.), um eine Sanktion in der nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebenen Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs hinreichend tragfähig zu begründen.

(b) Hingegen lässt die Vorgabe in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, den Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung zwingend um 30 % zu mindern, nicht zu, dass Minderungen unterbleiben, wenn sie nach Einschätzung der Behörde im Einzelfall von vornherein offensichtlich ungeeignet sind, ihr Ziel zu erreichen. Die derzeitige Regelung lässt es nicht zu, in der Entscheidung über die Sanktion auf den Einzelfall zu reagieren und den in diesem Verfahren eindringlich beschriebenen unterschiedlichen Lebenslagen gerecht zu werden. Zwar kann schon im Rahmen der nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorzunehmenden Prüfung des Vorliegens eines „wichtigen Grundes“ für die fehlende Mitwirkung aufgefangen werden, wenn von vornherein das Ziel nicht erreicht werden kann (oben Rn. 25). Doch bezieht sich der wichtige Grund auf die Mitwirkungspflicht und nicht auf die dann folgende Sanktion. Wenn aber gerade diese Sanktion im konkreten Fall offensichtlich ungeeignet ist, um den Mitwirkungszweck zu erreichen, oder sogar kontraproduktiv wirkt, ist es der zuständigen Behörde derzeit versagt, von einer Minderung abzusehen. Insbesondere bei Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen und oft erheblichen psychischen Problemen (oben Rn. 59), die zwar zur Mitwirkung in der Lage sind, aber nach geltendem Recht mit Leistungsminderungen belastet werden müssen, kann gleichwohl im Einzelfall erkennbar sein, dass die Minderungen die gewünschten Durchsetzungs- und Integrationseffekte nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt oder nicht mehr erreichen. Entsprechend ist dargelegt, dass die zuständigen Behörden entgegen der Rechtslage von einer Sanktion absehen, weil sie nicht zweckmäßig erscheint, sie aber zur Erreichung des Gesetzeszwecks von der Auferlegung einer Mitwirkungspflicht nicht absehen wollen. Zudem wollen sie den für die Integration in den Arbeitsmarkt wichtigen Kontakt zu den Betroffenen nicht verlieren (oben Rn. 65, 100).

Auch die bewusst (vgl. BTDrucks 15/1516, S. 61) starre Regelung zum Minderungszeitraum in § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II verhindert, dass nur konkret geeignete Sanktionen bestehen. Sie zwingt dazu, Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz immer für den Zeitraum von drei Monaten zu entziehen. Das gilt derzeit hier völlig unabhängig davon, ob die Betroffenen ihre Pflicht nachträglich doch erfüllen oder sich dazu ernsthaft und nachhaltig bereit erklären, also davon auszugehen ist, dass die Erklärung, künftig mitwirken zu wollen, tatsächlich glaubhaft ist. Tun sie das, ist der Zweck der Sanktion bereits erreicht; jedenfalls diese Mitwirkung kann die Sanktion dann nicht mehr durchsetzen. Vielmehr kann die starre Fortdauer der Sanktion sogar den Anreiz nehmen, eine Mitwirkung nachzuholen, weil die Minderung ohnehin weiterläuft. Starre Sanktionen bergen zudem das Risiko, dass Menschen jeden Kontakt mit dem Jobcenter abbrechen und konterkarieren dann ihren Zweck (oben Rn. 65 f.). Die Fortsetzung der Leistungsminderung kann dann im Einzelfall bereits ungeeignet sein, um legitime Ziele zu erreichen. Trotz der im Einzelfall damit möglicherweise fehlenden Eignung der so ausgestalteten Regelungen, das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, ist ihre generelle Eignung im verfassungsrechtlichen Sinne zu bejahen.

(3) Hinsichtlich der Erforderlichkeit der Sanktionsregelung in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II erscheint zwar im Hinblick auf Einzelfälle fraglich, ob es sich hier um das mildeste unter gleich geeigneten Mitteln handelt, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Das steht jedoch der generellen Erforderlichkeit im verfassungsrechtlichen Sinn nicht entgegen.

Auch in der Einschätzung der Erforderlichkeit besteht grundsätzlich ein Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers; was erforderlich ist, um legitime Ziele zu erreichen, ist durch die Verfassung nicht vollständig determiniert. Erforderlich ist ein Gesetz im verfassungsrechtlichen Sinne daher bereits, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber ein Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können (stRspr; vgl. nur BVerfGE 30, 292 <316>; 67, 157 <173, 176>).

(a) Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass eine Sanktion zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten erforderlich ist, und die Entscheidung in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II für eine Leistungsminderung in Höhe von 30 % halten sich noch in seinem Einschätzungsspielraum. Hinsichtlich der Sanktion als solcher wie auch im Hinblick auf diese Höhe ist die gesetzgeberische Annahme hinreichend tragfähig, dass mildere, aber gleich wirksame Mittel nicht zur Verfügung stehen. Hinsichtlich einer Minderung in dieser Höhe erscheint jedenfalls plausibel, dass eine spürbar belastende Reaktion die Betroffenen dazu motivieren kann, ihren Pflichten nachzukommen, und eine geringere Sanktion oder positive Anreize keine generell gleichermaßen wirksame Alternative darstellen.

(b) Doch ergeben sich auch hier hinsichtlich der zwingenden Sanktionsvorgabe unabhängig vom Einzelfall (oben Rn. 176) sowie hinsichtlich der starren Sanktionsdauer unabhängig von der Mitwirkung (oben Rn. 177) jedenfalls erhebliche Bedenken. Könnte die Behörde von einer Sanktion in offensichtlich ungeeigneten Fällen absehen, belastete dies die Betroffenen nicht, könnte aber gleich wirksam sein, zumal mit der Leistungsminderung sonst sogar negative Effekte einhergehen könnten (oben Rn. 65 f.). Weniger belastend wäre es im Einzelfall auch, wenn die Leistungsminderung nicht starr andauerte, sondern beendet würde, wenn die Mitwirkungspflicht erfüllt wird oder die ernsthafte Bereitschaft dazu wieder nachhaltig vorhanden ist. Auch wenn es nicht mehr möglich ist, eine konkrete Pflicht zu erfüllen, weil beispielsweise die Arbeitsgelegenheit nicht mehr besteht, die Leistungsberechtigten aber, wie es der Gesetzgeber in § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II akzeptiert, ernsthaft und nachhaltig bereit sind, ihre Mitwirkungspflichten zu erfüllen, wird zudem jedenfalls das Ziel erreicht, den Kontakt zum Jobcenter aufrechtzuerhalten. Allerdings darf der Gesetzgeber auch in Rechnung stellen, dass ex ante-Wirkungen nur erzielt werden können, wenn diese Sanktion im Normalfall verhängt und aufrechterhalten wird.

(4) Die Regelung des § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II wird den hier strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne damit zwar hinsichtlich der Höhe der Minderung gerecht (a), nicht aber in der konkreten Ausgestaltung als ausnahmslos zwingende (b) und von der Mitwirkung unabhängig andauernde Vorgabe (c).

(a) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass bei der Gesamtabwägung zwischen der Schwere der Belastung, dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt wird (stRspr; vgl. nur BVerfGE 51, 193 <208>; 83, 1 <19>; 141, 82 <100 f. Rn. 53>). Der Gesetzgeber verfügt auch hier über einen – wenn auch nicht unbeschränkten – Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum. Es ist jedenfalls auch bei der Ausgestaltung des Sozialrechts nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, von zahlreichen Faktoren abhängige Wertungen selbst vorzunehmen, sondern dem Gesetzgeber überantwortet, eine solche Entscheidung zu treffen (oben Rn. 122). Der Gesetzgeber kann sich danach trotz der großen Belastung der Betroffenen aufgrund der zumindest plausiblen Annahmen zur Wirkung spürbarer Sanktionen (oben Rn. 180) für eine vorübergehende Leistungsminderung um 30 % als Durchsetzungsinstrument einer legitimen Mitwirkungspflicht entscheiden. Eine höhere Belastung von Betroffenen, die entstehen kann, wenn eine andere Leistungsminderung mit den hier zu prüfenden Sanktionen zusammentrifft, ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

(b) Die Vorgabe in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, den Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung ohne weitere Prüfung zwingend zu mindern, ist jedoch unzumutbar. Die Regelung stellt derzeit nicht sicher, dass Minderungen ausnahmsweise unterbleiben können, wenn sie außergewöhnliche Härten bewirken, insbesondere weil sie in der Gesamtbetrachtung untragbar erscheinen. Eine solche Ausnahmekonstellation liegt nicht schon allein deshalb vor, weil sich die Betroffenen schlicht weigern, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken, und damit wissentlich die Vorenthaltung staatlicher Leistungen in Kauf nehmen. Vielmehr muss der Gesetzgeber der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der es Menschen zwar an sich möglich war, eine Mitwirkungspflicht zu erfüllen, aber dennoch im konkreten Einzelfall aufgrund besonderer Umstände unzumutbar erscheint, die Nichterfüllung mit Leistungsminderungen zu sanktionieren, insbesondere weil nach Einschätzung der Behörde – auch im Rahmen eines vom Gesetzgeber einräumbaren Beurteilungsspielraums – die Ziele des Gesetzes nur erreicht werden können, indem eine Sanktion unterbleibt. Zwar ist dem Gesetzgeber unbenommen, mit einer klaren Sanktionsregelung auch die klare Botschaft zu verbinden, dass Mitwirkungspflichten auch durchgesetzt werden. Er muss jedoch erkennbaren Ausnahmekonstellationen Rechnung tragen.

Der Gesetzgeber hat mehrere Möglichkeiten, die Zumutbarkeit einer Sanktion im konkreten Einzelfall zu sichern. So kann er die Sanktion in das Ermessen der zuständigen Behörde stellen, die dann von ihr absehen kann, wenn die Sanktion erkennbar ungeeignet ist. Dem Gesetzgeber sind Ermessensregelungen im Zusammenhang mit Sanktionen nach §§ 31 bis 31b SGB II auch nicht fremd, wie § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II und § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II ebenso wie § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB I verdeutlichen. Er kann die Zumutbarkeit der Sanktion im Einzelfall aber auch durch eine Härtefallregelung sicherstellen, die es der Behörde ermöglicht, von einer unzumutbaren Sanktion abzusehen.

(c) Nach der hier vorzunehmenden Gesamtabwägung ist es auch unzumutbar, dass die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Sanktion in Verbindung mit § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II unabhängig von der Mitwirkung, auf die sie zielt, immer erst starr nach drei Monaten endet. Zwar ist der Minderungszeitraum von drei Monaten als solcher nicht zu beanstanden, wenn die Mitwirkungspflicht anhaltend verletzt wird. Der starr andauernde Leistungsentzug überschreitet aber die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums, wenn die Mitwirkung, zu deren Durchsetzung diese Sanktion dient, vor Ablauf von drei Monaten nachgeholt wird. Da der Gesetzgeber an die Eigenverantwortung der Betroffenen anknüpfen muss, wenn er existenzsichernde Leistungen suspendiert, weil zumutbare Mitwirkung ohne wichtigen Grund verweigert wird (oben Rn. 130), ist eine Leistungsminderung in der Gesamtbetrachtung nur zumutbar, wenn sie grundsätzlich endet, sobald die Mitwirkung erfolgt. Die zur Deckung des gesamten existenznotwendigen Bedarfs erforderlichen Leistungen müssen für die Bedürftigen grundsätzlich bereitstehen und es muss an ihnen sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die für sie erlangbare Leistung auch tatsächlich wieder zu erhalten. Tun sie dann, was der Gesetzgeber aufgrund des Nachrangs staatlicher Leistungen (oben Rn. 123 f.) verlangt, ist insgesamt unzumutbar, Leistungen zu mindern, auf die Menschen zur Sicherung ihrer menschenwürdigen Existenz tatsächlich angewiesen sind. Ist die Mitwirkung objektiv nicht mehr möglich, wird aber die Bereitschaft zur Mitwirkung ernsthaft und nachhaltig erklärt, muss die Leistung jedenfalls in zumutbarer Zeit wieder gewährt werden.

Zwar mag der Gesetzgeber davon ausgehen, dass ein präventiver verhaltenslenkender Effekt bei einer starren und länger andauernden Minderung größer ist als bei einer Regelung, die auf nachträgliche Mitwirkung reagiert. Doch ist der sonst weite Einschätzungsspielraum hier begrenzt, weil der Gesetzgeber mit der Minderung existenzsichernder Leistungen im durch Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Bereich harte Belastungen schafft, ohne dass sich die existenziellen Bedarfe der Betroffenen zu diesem Zeitpunkt verändert hätten (oben Rn. 156). Zwar kann er Sanktionen – vorbehaltlich von Härtefällen – im Hinblick auf deren ex ante-Wirkung für einen kurzen Zeitraum wirksam werden lassen. Er muss jedoch dafür Sorge tragen, dass die existenzsichernden Leistungen in zumutbarer Zeit wiedererlangt werden können. Die starre Frist von drei Monaten ist dafür deutlich zu lang. Es ist auch nicht erkennbar, dass gerade die nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II starr mit drei Monaten vorgegebene Sanktionsdauer dazu beitragen könnte, die Betroffenen zur Erbringung ihrer Eingliederungsbemühungen anzuhalten. Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II vorgegebene Sanktion ist daher nach Maßgabe der hier geltenden strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich nur zumutbar, wenn ihre Dauer auf die Mitwirkung der Betroffenen und damit auf deren eigenverantwortliches Handeln bezogen ist.

Dem Gesetzgeber sind Vorgaben, die Sanktionen zumindest abzumildern, wenn deren Ziel erreicht ist, auch nicht fremd. Er hat bei unter 25-Jährigen die Möglichkeit geschaffen, alle Minderungen im Härtefall auf sechs Wochen zu verkürzen; nach dem Wortlaut des § 31b Abs. 1 Satz 4 SGB II steht dort im Ermessen des Trägers, den Sanktionszeitraum zu halbieren. Desgleichen sieht beispielsweise § 67 SGB I vor, dass Leistungen wieder erbracht werden, wenn die Mitwirkung nachgeholt wird (vgl. auch § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II). Warum Sanktionen demgegenüber nach § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II hier starr andauern sollen, wenn die damit durchzusetzende Pflicht erfüllt wird, erschließt sich auch vor diesem Hintergrund nicht. Darüber hinaus ist unstreitig vorgetragen worden, dass es ohne unzumutbaren Aufwand möglich sei, Leistungen jederzeit und damit auch unmittelbar nach erfolgter Mitwirkung wieder zu erbringen. Der Gesetzgeber verfügt auch insofern über einen Gestaltungsspielraum.

bb) Die in § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II im Fall der ersten wiederholten Verletzung einer Mitwirkungspflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II vorgegebene Minderung der Leistungen des maßgebenden Regelbedarfs in einer Höhe von 60 % ist mit dem Grundgesetz in der derzeitigen Ausgestaltung vor allem mangels tragfähiger Erkenntnisse zur Eignung und Erforderlichkeit einer Sanktion in dieser gravierenden Höhe nicht vereinbar. Zwar ist es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, erneut zu sanktionieren, wenn sich eine Pflichtverletzung wiederholt und die Mitwirkungspflicht tatsächlich nur so durchgesetzt werden kann. Doch wird die Regelung des § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II den angesichts der außerordentlichen Härte dieser Belastung strengen Maßgaben der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht, weil sie jedenfalls unzumutbar ist.

(1) Die mit § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgegebene Minderung von Regelbedarfsleistungen in einer Höhe von 60 % bewirkt gravierende Belastungen für die Betroffenen, die die erste Sanktion noch einmal verdoppelt. Damit entfallen im Minderungszeitraum mehr als die im Gesamtbudget für den Regelbedarf vorgesehenen Pauschalbeträge für Kleidung und Schuhe, Wohnen, Haushalt, Verkehr, Kommunikation, Freizeit und Gaststätten; die Minderung berührt so auch die für Nahrung und Getränke als bedarfsdeckend angesehenen Summen (vgl. die Berechnungen zu § 5 RBEG, BTDrucks 18/9984, S. 35 ff.). Dabei ist wieder zu berücksichtigen, dass schon die Pauschalbeträge auf einer knappen Berechnung beruhen, die nur in der Gesamtschau für noch verfassungsgemäß befunden wurde, weil nur dann und nur unter Berücksichtigung von Auslegungsspielräumen für Härtefälle davon ausgegangen werden konnte, dass die menschenwürdige Existenz der Hilfebedürftigen tatsächlich realistisch gesichert ist (vgl. BVerfGE 137, 34 <77 Rn. 86; 92 Rn. 120; 101 f. Rn. 144>). Eine Minderung in dieser Höhe kann auch deshalb nicht mehr im Rahmen der Selbstbestimmung über die Verwendung des Budgets ausgeglichen werden. Die hier entstehende Belastung reicht weit in das grundrechtlich gewährleistete Existenzminimum hinein.

Der Gesetzgeber hat zwar gewisse Vorkehrungen getroffen, um zu verhindern, dass Menschen die Grundlagen dafür verlieren, überhaupt wieder in Arbeit zu kommen. Dazu gehört die Fortzahlung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Zudem ermöglicht es die Regelung des § 31a Abs. 3 Satz 3 SGB II, Geldleistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung im Fall einer Minderung von mindestens 60 % direkt an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen (oben Rn. 42), was dem Risiko der Wohnungslosigkeit entgegenwirkt. Schließlich besteht nach § 31a Abs. 3 Sätze 1 und 2 SGB II die Möglichkeit, im Fall der Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % in angemessenem Umfang ergänzend Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu erhalten (oben Rn. 46 ff.). Dies kann die zum zweiten Mal sanktionierten Betroffenen grundsätzlich vor der weiteren Verschlechterung ihrer Lebenslage bewahren und die Gefahr ihres Ausstiegs aus dem System verringern.

(2) Gegen die Eignung der mit § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgegebenen Sanktion bestehen nach den vorliegenden Erkenntnissen dennoch erhebliche Bedenken.

(a) Die Entscheidung des Gesetzgebers in § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II für eine Sanktion der Minderung um 60 % des Regelbedarfs kann sich hinsichtlich ihrer Höhe nicht auf tragfähige Erkenntnisse dazu stützen, dass die erwünschten Wirkungen tatsächlich erzielt und negative Effekte vermieden werden. Die Wirksamkeit dieser Leistungsminderung ist bisher weder mit Blick auf das unmittelbare Ziel, die Mitwirkung zu erreichen, noch mit Blick auf spezial- oder generalpräventive Wirkungen hinreichend erforscht (oben Rn. 60). Es ist zwar nicht auszuschließen, dass eine Leistungsminderung in dieser Höhe in Einzelfällen geeignet ist, die betroffene Person zur Mitwirkung an der Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch Erwerbsarbeit zu veranlassen. Wenn sich dies tragfähig belegen lässt, mag der Gesetzgeber zur Durchsetzung wiederholter Pflichtverletzungen im Ausnahmefall auch eine besonders harte Sanktion vorsehen. Hingegen genügt die allgemeine Annahme, diese Leistungsminderung erreiche ihre Zwecke, angesichts der gravierenden Belastung der Betroffenen nicht, um die Eignung dieser regelhaften Härte der Wiederholungssanktion zur Erreichung legitimer Ziele zu begründen.

Die derzeit vorliegenden Erkenntnisse zeigen zudem, dass mit der Sanktion nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II in vielen Fällen auch negative Wirkungen verbunden sind, welche die Ziele des Gesetzgebers konterkarieren (oben Rn. 66, 83). Dabei wird auf Wohnungslosigkeit, die Gefahr der Dequalifizierung, verstärkte Verschuldung, eingeschränkte Ernährung, unzureichende Gesundheitsversorgung, sozialen Rückzug sowie seelische Probleme bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten hingewiesen (oben Rn. 59).

(b) Die Regelung zu möglichen ergänzenden Leistungen in § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II beseitigt die Zweifel an der Eignung einer Leistungsminderung in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs nicht.

Zwar liegt es grundsätzlich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wie er die Leistungsmodalitäten ausgestaltet; entscheidend ist allein, dass der existenznotwendige Bedarf realistisch gedeckt werden kann (oben Rn. 118 ff.). Verfassungsrechtlich ist daher vom Grundsatz her nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber Ergänzungsleistungen in Form von Sachleistungen und geldwerten Leistungen bereitstellt.

Zur Eignung der Sanktion, Menschen letztlich wieder in Arbeit zu bringen, tragen die Ergänzungsleistungen in der derzeitigen Ausgestaltung jedoch nicht genügend bei. Die sehr offene Vorschrift des § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II sichert nicht hinreichend, dass die Zweifel an der Eignung entfallen. Das ergibt sich schon daraus, dass nähere Vorgaben für die Bereitstellung von Sachleistungen und geldwerten Leistungen fehlen; die Ergänzungsleistungen stehen – jenseits des § 31a Abs. 3 Satz 2 SGB II – insgesamt im Ermessen und sind in der Höhe nicht quantifiziert.

(c) Im Übrigen ergeben sich auch hinsichtlich der Regelung des § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II die bereits genannten Zweifel an der zwingenden Vorgabe der Sanktion auch in erkennbar ungeeigneten Fällen (oben Rn. 176) und an der unabhängig von jeder Mitwirkung starren Dauer (oben Rn. 177).

(3) Angesichts der bei einer Minderung des Regelbedarfs um 60 % entstehenden außerordentlichen Belastung der Betroffenen ist jedenfalls sehr zweifelhaft, dass einer wiederholten Pflichtverletzung nicht durch mildere Mittel hinreichend effektiv entgegengewirkt werden könnte. Ein milderes Mittel wäre eine zweite Sanktion in geringerer Höhe, erforderlichenfalls bei längerer Dauer, da Studien nahelegen, dass eine Sanktion durch eine Minderung der Regelbedarfsleistungen um 60 % nicht zu deren Wirksamkeit beiträgt (oben Rn. 65 f.). Auch in der mündlichen Verhandlung konnte nicht nachvollziehbar dargelegt werden, dass die zweite Sanktion regelmäßig derart hoch sein muss, um Wirkung zu entfalten. Sie mag im Einzelfall zu rechtfertigen sein. Doch fehlen für die Annahme, die nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II vorgegebene Höhe von 60 % sei generell erforderlich, um Mitwirkungspflichten durchzusetzen, derzeit hinreichende tatsächliche Grundlagen.

(4) In der Gesamtabwägung dieser gravierenden Belastung mit den Zielen der Durchsetzung von Mitwirkungspflichten und eventuellen Integration in den Arbeitsmarkt ist § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II in der derzeitigen Ausgestaltung insbesondere mangels tragfähiger Erkenntnisse über die Eignung und Erforderlichkeit einer Leistungsminderung in dieser Höhe verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Die Wirksamkeit einer Leistungsminderung in Höhe von 60 % des maßgebenden Regelbedarfs ist nicht in einer Weise durch tragfähige Erkenntnisse belegt, die eine derart einschneidende Maßnahme auch bei wiederholten Pflichtverletzungen als zumutbar erscheinen lassen könnte. Die Möglichkeit, nach § 31a Abs. 3 SGB II ergänzend Leistungen zu erhalten, ist nach den vorliegenden Erkenntnissen in der derzeitigen Ausgestaltung nicht geeignet, die Zumutbarkeit einer derart gravierenden Suspendierung von existenzsichernden Leistungen zu sichern, und es fehlt auch hier eine Regelung, die es ermöglicht, in außergewöhnlichen Härtefällen von einer weiteren Sanktion abzusehen (oben Rn. 184 f.) und die Sanktion auf die tatsächliche Mitwirkung zu beziehen (oben Rn. 186 ff.).

cc) Der vollständige Wegfall des Arbeitslosengeldes II nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II ist auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben nicht vereinbar, die den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Durchsetzungsmittel von Mitwirkungspflichten zur Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit begrenzen.

(1) Die Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II bewirkt, dass bei der dritten Pflichtverletzung im Sinne des § 31 SGB II das gesamte Arbeitslosengeld II entfällt. Das bedeutet nicht nur den Wegfall der Geldzahlungen für den maßgebenden Regelbedarf. Es entfallen nach der Definition in § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch die Leistungen für Mehrbedarfe (§ 21 SGB II) und für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). Zwar gibt es die Möglichkeit, ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II zu beantragen, doch steht dies bei Alleinstehenden im Ermessen und ist in der Praxis derzeit limitiert (oben Rn. 46 ff.).

Nur begrenzten Schutz vor einem Wohnungsverlust schafft auch § 22 Abs. 8 SGB II, wonach die Miete als Darlehen übernommen werden kann, denn das gilt erst, wenn die Kündigung bereits erfolgt ist. Daher bestehen Zweifel, ob damit die Grundlagen der Mitwirkungsbereitschaft erhalten bleiben. Zudem gleicht ein Darlehen die Härte nur akut aus und verschiebt die Belastung auf einen späteren Zeitpunkt. Anders als nach §§ 51, 54 SGB I, die Ansprüche auf Sozialleistungen vor Pfändung schützen (BSGE 121, 55 <58 f. Rn. 16>; Blüggel/Wagner, NZS 2018, S. 677 <681>), gibt es einen solchen Schutz vor Rückzahlungsansprüchen des Jobcenters nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch nicht. Die Kosten der Unterkunft werden sonst erst wieder getragen, wenn nach § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II die Sanktion auf eine Minderung in Höhe von 60 % begrenzt wird.

Entfällt das Arbeitslosengeld II, entfallen zugleich die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Auch sie werden erst wieder übernommen, wenn ergänzende Sachleistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II gewährt werden. Zwar ist das gesundheitliche Existenzminimum gedeckt, weil nach § 16 Abs. 3a Satz 4 SGB V weiterhin ein Behandlungsanspruch besteht. Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 GG, die das vorlegende Gericht annimmt, ist insoweit nicht erkennbar. Doch entstehen Beitragsrückstände bei der Krankenkasse, die auch das Risiko einer Schuldenfalle mit sich bringen, auch weil § 26 SGB II hier keine Anwendung findet (vgl. Fachliche Weisungen der BA zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsberechtigten von Arbeitslosengeld II in der Fassung vom 1. Januar 2016 Rn 1.26 und in der Fassung vom 20. September 2017 Rn. 1.27; dazu oben Rn. 39, 42). Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Betroffenen gerade nach einer Leistungsminderung über Rücklagen verfügen würden, um diese Schulden aufzufangen.

(2) Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse vor, aus denen sich ergibt, dass ein völliger Wegfall von existenzsichernden Leistungen geeignet wäre, das Ziel der Mitwirkung an der Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit und letztlich der Aufnahme von Erwerbsarbeit zu fördern. Durchgreifende Bedenken gegen die Eignung der Sanktion in dieser Höhe ergeben sich insbesondere daraus, dass der Verlust der Wohnung droht.

Vorliegende Studien differenzieren regelmäßig nicht nach der Höhe der Leistungsminderungen (oben Rn. 60). Sie zeigen daher zwar grundsätzlich, dass Leistungsminderungen positive arbeitsmarktpolitische Wirkungen entfalten können (oben Rn. 62 f.). Dass sie sich auf die Überwindung der Hilfebedürftigkeit der Betroffenen tatsächlich positiv auswirkten, ist jedoch schon nicht eindeutig belegt (näher oben Rn. 57 ff.). Auch in diesem Verfahren wurde vielmehr nachdrücklich darauf hingewiesen, dass häufig kontraproduktive Effekte eintreten (oben Rn. 90). Das liegt insbesondere nahe, wenn die Gefahr besteht, die Wohnung zu verlieren, oder langfristig in eine Schuldenfalle zu geraten (oben Rn. 39, 42). Tatsächlich ginge mit dem Verlust der Wohnung gerade der Ausgangspunkt dafür verloren, durch Erwerbsarbeit wieder selbst für sich sorgen zu können. Gleiches gilt für Schulden, die bei einem Wegfall der Leistungen entstehen, wie Stromschulden oder Beitragsschulden gegenüber der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Dann nimmt die Sanktion den Betroffenen sogar ihre Chance, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Sie entzieht ihnen die Grundlage dafür, wieder in Erwerbsarbeit zurückzukehren und ihre Existenz selbst zu sichern (dazu auch der Bericht über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II [AG Rechtsvereinfachung im SGB II] vom 2. Juli 2014, S. 14 f.). Zudem besteht die Gefahr, dass leistungsberechtigte Hilfebedürftige im Fall von Sanktionen nicht etwa dazu motiviert werden, ihre Mitwirkungspflichten zu erfüllen, sondern den Kontakt zum Jobcenter ganz abbrechen (oben Rn. 65 f.). Insbesondere bei dem in § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II vorgegebenen Entzug des gesamten Arbeitslosengeld II erscheint es zumindest wahrscheinlich, dass Menschen ihre Bedarfe durch illegale Erwerbsarbeit und Kriminalität zu decken suchen (ausführlich oben Rn. 65). In der mündlichen Verhandlung hat auch die Bundesagentur für Arbeit bestätigt, dass sich die Totalsanktion oft als kontraproduktiv erweise (oben Rn. 90).

(3) Auch gegen die Erforderlichkeit der derart gravierenden Sanktion, bei der sämtliche Leistungen des Jobcenters entfallen, bestehen erhebliche Bedenken. Der grundsätzlich bestehende Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers ist hier wiederum eng, weil die Sanktion eine gravierende Belastungswirkung im grundrechtlich geschützten Bereich der menschenwürdigen Existenz entfaltet (oben Rn. 132). Er ist hier überschritten, weil in keiner Weise belegt ist, dass ein Wegfall existenzsichernder Leistungen notwendig wäre, um die angestrebten Ziele zu erreichen, und dass eine Minderung der Regelbedarfsleistungen in geringerer Höhe, eine Verlängerung des Minderungszeitraumes oder auch eine teilweise Umstellung von Geldleistungen auf Sachleistungen und geldwerte Leistungen nicht genauso wirksam oder sogar wirksamer wäre, weil die negativen Effekte der Totalsanktion unterblieben. Das gilt hier zudem wieder auch für die ausnahmslos zwingende Vorgabe einer derart gravierenden Sanktion (oben Rn. 176, 184 f.) und erst recht für die derzeitige Maßgabe in § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II, wonach sogar der völlige Wegfall von Leistungen starr drei Monate andauern soll, auch wenn die Mitwirkung erfolgt (oben Rn. 177, 186 ff.).

(4) Schon angesichts der Eignungsmängel und der Zweifel an der Erforderlichkeit einer derart belastenden Sanktion zur Durchsetzung legitimer Mitwirkungspflichten ergibt sich in der Gesamtabwägung, dass der völlige Wegfall aller Leistungen nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II auch mit den begrenzten Möglichkeiten ergänzender Leistungen nach § 31a Abs. 3 SGB II bereits wegen dieser Höhe nicht mit den hier strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist. Unabhängig davon hat der Gesetzgeber auch hier dafür Sorge zu tragen, dass trotz Wegfalls des Arbeitslosengeldes II die Chance realisierbar bleibt, existenzsichernde Leistungen zu erhalten, wenn zumutbare Mitwirkungspflichten erfüllt werden oder, falls das nicht möglich ist, die ernsthafte und nachhaltige Bereitschaft zur Mitwirkung tatsächlich vorliegt.

Anders liegt dies folglich, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind. Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.

D.

Die in diesem Verfahren überprüften Regelungen verstoßen gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 und § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II sind in den Fällen des § 31 Abs. 1 SGB II mit dem Grundgesetz unvereinbar; sie können jedoch bis zum Inkrafttreten der Neuregelung durch den Gesetzgeber nach Maßgabe dieses Urteils angewendet werden.

I.

1. Die Regelungen in § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 in Verbindung mit § 31b SGB II sind in den Fällen des § 31 Abs. 1 SGB II insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar, als der Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 SGB II erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verhältnismäßige Pflichten auferlegt, um im Sinne von § 10 SGB II zumutbar an der Überwindung der eigenen Bedürftigkeit mitzuwirken. Auch die Entscheidung des Gesetzgebers, die in § 31 Abs. 1 SGB II normierten Pflichten nach § 31a und § 31b SGB II, wenn nach § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II kein wichtiger Grund für ihre Nichterfüllung vorliegt, mit der Sanktion durchzusetzen, dass Leistungen in Höhe des für die Person maßgebenden existenzsichernden Regelbedarfs im Sinne des § 20 SGB II vorübergehend gemindert werden, hält sich grundsätzlich in seinem Gestaltungsspielraum. Die nähere gesetzliche Ausgestaltung der Sanktionen wird den hier geltenden strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht gerecht.

2. Das Bundesverfassungsgericht erklärt nach § 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG ein Gesetz grundsätzlich für nichtig, das nach seiner Überzeugung mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm ist hingegen regelmäßig geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen (BVerfGE 149, 222 <290 Rn. 151>; stRspr).

Das ist hier der Fall. Der Gesetzgeber kann insbesondere auf die Vorgabe der Leistungsminderungen als Sanktionen verzichten, anstelle von Sanktionen die Umstellung von Geldleistungen auf Sachleistungen oder geldwerte Leistungen vorgeben, oder auch eine Regelung schaffen, die bei einer Verletzung von Mitwirkungspflichten geringere als die bisher geregelten oder je nach Mitwirkungshandlung unterschiedliche Minderungshöhen vorsieht. Auch hat der Gesetzgeber unterschiedliche Möglichkeiten, um außergewöhnliche Härten zu verhindern, die durch eine zwingende Sanktionierung entstehen können. Zudem kann er die Dauer einer Sanktion unterschiedlich ausgestalten, indem er nach Mitwirkungshandlungen oder auch zwischen nachgeholter Mitwirkung und der Bereitschaft, in Zukunft mitzuwirken, unterscheidet. Die Regelungen sind daher nicht für nichtig, sondern für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären.

3. Die in § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II normierte Höhe einer Leistungsminderung von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs im Fall der Verletzung einer Pflicht nach § 31 Abs. 1 SGB II ist nach derzeitiger Erkenntnislage für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

§ 31a Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB II sind nach derzeitigem Erkenntnisstand verfassungswidrig, soweit die Minderung wegen einer ersten wiederholten und einer weiteren wiederholten Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres die Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs übersteigt. Die Regelung ist insoweit für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären.

4. § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 SGB II sind verfassungswidrig und mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit danach der Regelbedarf bei einer Pflichtverletzung auch im Fall außergewöhnlicher Härten zwingend zu mindern ist oder das Arbeitslosengeld II auch dann vollständig entfallen muss.

5. § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II ist verfassungswidrig und mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit er für alle hier überprüften Leistungsminderungen eine starre Dauer von drei Monaten vorgibt.

II.

1. Die Sanktionsregelungen der § 31a Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 und § 31b SGB II sind in den Fällen des § 31 Abs. 1 SGB II mit den tenorierten Einschränkungen weiter anwendbar. Die Übergangsregelung zu § 31b Abs. 1 Satz 3 SGB II orientiert sich an der Regelung in § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II.

2. Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber nicht dazu, rückwirkend Leistungen ohne Minderungen nach § 31a SGB II festzusetzen.

a) Für bestandskräftige Verwaltungsakte bleibt es bei der Regelung des § 40 Abs. 3 SGB II als Sonderregelung zu § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

b) Nicht bestandskräftige Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II, die vor der Urteilsverkündung festgestellt worden sind, bleiben wirksam.

c) Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung nicht bestandskräftige Bescheide über Leistungsminderungen nach § 31a Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB II, sind, soweit sie über eine Minderung in Höhe von 30 % des maßgebenden Regelbedarfs hinausgehen, aufzuheben.

3. Die Verfassungswidrigkeit der Regelungen ist im Übrigen bei Kostenentscheidungen zugunsten von klagenden Hilfebedürftigen angemessen zu berücksichtigen, soweit dies die gesetzlichen Bestimmungen ermöglichen (vgl. BVerfGE 125, 175 <259>; 132, 134 <178 f. Rn. 111 ff.>).

III.

Der Gesetzgeber hat neu zu regeln, ob und wie Pflichtverletzungen nach § 31 Abs. 1 SGB II sanktioniert werden. Es liegt in seinem Entscheidungsspielraum, ob er weiterhin Leistungsminderungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten vorgeben und in unterschiedlicher Höhe ansetzen will.

E.

Die Entscheidung ist im Ergebnis einstimmig ergangen.

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Der Weg von Pflegegrad 2 in den Pflegegrad 3

…. ist zumindest für rein körperlich Erkrankte schwierig.

In letzter Zeit häufen sich bei mir die Anfragen wegen eines Widerspruchs von Pflegebedürftigen, die trotz erheblicher körperlicher Einschränkungen keinen Pflegegrad 3 erhalten haben.

Nun ja, es wundert mich ehrlich gesagt nicht. Denn bis 2016 wurden ja (angeblich) Demenzerkrankte  und psychisch Kranke bei der Begutachtung bzw. Zuordnung in eine Pflegestufe benachteiligt.
Ich fand nicht, dass dies der Fall war, denn man konnte argumentieren und den individuellen Fall darstellen. Zudem wurde die aktivierende Pflege, also die Beteiligung des Pflegebedürftigen, gefördert. Dies musste dann auch bewertet werden.
Insofern hatte ich damals in Widerspruchsverfahren nur wenige Probleme zu erreichen, dass die speziellen psychischen oder kognitiven  Einschränkungen von Pflegebedürftigen anerkannt wurden.

Heute, also seit 2017 ist das anders. Das Begutachtungsverfahren ist sehr starr ausgerichtet. Es lässt keinerlei Argumentationsspielraum. Eine aktivierende Pflege erscheint im Hinblick auf einen Pflegegrad eher schädlich. Vielmehr gilt: wer nicht ins Korsett passt, bekommt auch keines, selbst wenn er es benötigen sollte.

Im neuen Verfahren findet tatsächlich eine Benachteiligung statt. Denn die körperlich eingeschränkten Menschen haben es extrem schwer, in den Pflegegrad 3 eingestuft zu werden. Über den Pflegegrad 4 möchte ich da gar nicht erst sprechen.
Und ja, aufgrund der Starrheit des Verfahrens liegt jetzt eine echte Benachteiligung vor.

10 Jahre hat der Gesetzgeber für das neue Begutachtungsinstrument gebraucht. Was ist dabei herausgekommen?
Ein für Laien unverständliches System, das selbst Profis nur noch mit einem entsprechenden Programm berechnen können. Zudem hat eine neue Ungerechtigkeit die alte Ungerechtigkeit einfach nur abgelöst.
Leidtragende sind wie so oft bei uns die Schwachen und Hilfebedürftigen.

Manchmal bin ich wirklich ratlos, wie ich einem Menschen erklären soll, warum sein Hilfebedarf, der nicht berücksichtigt wurde, nicht zwangsläufig zu einem höheren Pflegegrad führt, wenn er denn berücksichtigt wird. Diese „Gewichtung“ der einzelnen Module ist einem Menschen, der Hilfe benötigt, nur schwer zu vermitteln.

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Urteil des Bundesfinanzhofs zu haushaltsnahen Dienstleistungen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 03.04.2019 ein wegweisendes Urteil (Az: VI R 1 9/17) im Hinblick auf die steuerliche Berücksichtigung der Heimkosten eines Elternteils gefällt.

Grundsätzlich gilt für die Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen, dass ein Steuerpflichtiger seine Aufwendungen um 20 % bzw. um maximal 4.000 € im Jahr durch deren steuerliche Berücksichtigung senken kann. Diese Regelung gilt auch für Pflege- und Betreuungsleistungen und die Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Unterbringung in einem Heim.

Oftmals übernehmen aber Kinder der Pflegebedürftigen die Heimkosten der Eltern. Der BFH hat nunmehr entschieden, dass Kinder die Heimkosten in ihrer eigenen Einkommenssteuererklärung nicht als haushaltsnahe Dienstleistungen steuermindernd geltend machen können.

Der Grund ist einfach: es handelt sich bei den Heimkosten der Eltern bzw. eines Elternteils nicht um Kosten, die für die eigene Unterbringung in einem Heim angefallen sind – so wie es das Gesetz vorsieht.
Daher ist es aus Sicht des BFH auch nicht möglich, diese Kosten als haushaltsnahe Dienstleistungen in der eigenen Steuererklärung geltend zu machen.

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Menschliches Leben als höchstrangiges Rechtsgut

Am 2. April dieses Jahres hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein bemerkenswertes Urteil  mit dem Aktenzeichen VI ZR 13/18 gefällt.
Der Sohn eines verstorbenen Pflegebedürtigen verklagte den Arzt, der seinen Vater langfristig mit einer künstlichen Ernährung (PEG) behandelte, auf Schadenersatz. Das Argument des Sohnes: das Leiden seines Vaters sei von dem Arzt unnötig künstlich verlängert worden.

Nachfolgend möchte ich einige, meines Erachtens wichtige Punkte des Urteils aufgreifen.

Grundsätzlich ist das menschliche Leben ausnahmslos erhaltungswürdig.

So lautet die Grundaussage des Urteils:

Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen.

Dem kann nicht wirklich widersprochen werden. Denn wäre dies nicht so, dann bestünde die Gefahr, dass „lebenswertes Leben“ auch materiell – in Form einer „Kosten-Nutzen-Abwägung“ – bemessen werden könnte. Dann würde sich womöglich irgendwann die Frage stellen, ob sich eine Behandlung angesichts des nahen Todes, hohen Alters, oder der Virlzahl der Erkankungen überhaupt noch lohnt. – Wenn die Antwort auf diese Frage dann nicht unter Berücksichtigung von Wunsch und Willen des Patienten erfolgt, sondern allein im Hinblick auf die entstehenden Kosten, ist dies ethisch nicht hinnehmbar.

Es fehlte eine Patientenverfügung

Die aus meiner Sicht wichtigste Aussage in dem Urteil lautet:

Der Patient hatte weder eine Patientenverfügung errichtet noch ließ sich sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen anderweitig feststellen.

Dies zeigt, wie wichtig es ist, zur rechten Zeit eine Patientenverfügung zu erstellen, wenn man eben nicht möchte, dass das eigene Leben (und womöglich Leiden) künstlich verlängert wird. Denn die Vorgaben der Partientenverfügung sind für den Arzt und alle am Pflege- und Behandlungsprozess Beteiligten rechtlich bindend. So sieht es das Bürgerliche Gesetzbuch vor:

(1) Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.
(…)

Die Krankengeschichte scheint keine Rolle zu spielen

Betrachtet man den Krankheitsverlauf des Vaters des Klägers, so darf man sich schon fragen, was den Arzt geritten hat, dieses Leiden, geprägt aus wiederkehrenden Dekubiti, Kontrakturen, spastischer Tetraparese und Nackenrigor, sowie wiederkehrenden  Infektionen und einer weit fortgeschrittenen Demenzerkrankung zu verlängern.
Aber das ist in dem Prozess gar nicht die Frage gewesen. Die Frage war, ob der Arzt durch die Lebens- und damit unzweifelhaft auch Leidensverlängerung, einen objektiv beurteilbaren Schaden angerichtet hatte. Dies verneint das Gericht. Denn den Richtern obliegt in diesem Fall nicht, das tatsächliche Leiden zu bemessen. Sie müssen sich an die Gesetzeslage halten und die war für die Richter*innen nun einmal eindeutig. Ob dies aus mitfühlender Sicht im Sinne des Patienten war, spielt hier gar keine Rolle.

Persönliches Fazit

Das Urteil des BGH zeigt meines Erachtens, dass „die juristische Sichtweise von Recht“ und der Aspekt „Menschlichkeit“ sich manchmal ausschließen.
Ich persönlich denke, dass der Arzt die Weiterführung der künstlichen Ernährung über die PEG im Hinblick auf die Leitlinien der DGEM nur hätte weiterführen dürfen, wenn der Patient unter dem Mangel an Ernährung und Flüssigkeitszufuhr trotz erfolgter Maßnahmen zur Symptomkontrolle, wie etwa Mundpflege erkennbar gelitten hätte.
Das scheint im verhandelten Fall jedoch niemals Thema gewesen zu sein.

Sollte ich jemals in eine solche Lebenssituation kommen, wünsche ich mir einen  verständigeren Arzt, der nicht nur sich selbst im Blick hat.
Außerdem habe ich vorgesorgt und schon seit mehreren Jahrzehnten eine Patientenverfügung, die es ausschließen sollte, dass ich in eine solche Situation komme.

Tipp: Wenn sie es noch nicht gemacht haben, dann fassen Sie unbedingt Ihre Patientenverfügung ab. Sie hilft in Situationen, in denen Sie nicht mehr selbst entscheiden können, dass Ihr Wille trotzdem berücksichtigt wird und Sie nicht zum, Spielball der Medizin(er) werden.

Tipps und Infos zur Patientenverfügung erhalten Sie in der Broschüre des Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz: Patientenverfügung.

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5 Irrtümer über Pflegegrade

Wenn es um einen Pflegegrad geht, dann gibt es viele – teilweise  kuriose – Informationen, die Hilfesuchende erhalten.

  1. Irrtum: Die gleiche Diagnose führt zum Anspruch auf den gleichen Pflegegrad.
    Nicht selten vergleichen sich Hilfebedürftige mit anderen Hilfebedürftigen und stellen dann fest, dass sie die gleiche Diagnose haben. Der vermeintlich logische Schluss ist dann, dass sie denken, auch den gleichen Pflegegrad erhalten zu müssen.
    .
    Tatsache: Über einen Pflegegrad entscheidet eine Diagnose nur nachrangig. Nicht jeder, der einen Schlaganfall hatte, hat auch die gleichen körperlichen Einschränkungen.
    Für den Pflegegrad ist nicht allein die zugrundeliegende Diagnose entscheidend, sondern entscheidend sind die Einschränkungen in der Selbstständigkeit, die daraus in festgelegten Bereichen, wie etwa der Körperpflege und Mobilität,  folgen.
    .
  2. Irrtum: Der Schwerbehindertenausweis hat Einfluss auf den Pflegegrad.
    Tatsache:
    Weder der Grad der Schwerbehinderung, noch eines der Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis haben eine Auswirkung auf den Pflegegrad.
    .
  3. Irrtum: Hauswirtschaftlicher Hilfebedarf führt zu einem Pflegegrad.
    Tatsache: Personen, deren Hilfebedarf überwiegend im hauswirtschaftlichen Bereich liegt, erhalten zumeist keinen Pflegegrad. Mit etwas Glück kann aufgrund der körperlichen Einschränkungen eventuell der Pflegegrad 1 erzielt werden.
    .
  4. Irrtum: Der Gutachter muss bei der Begutachtung alle Kriterien des Begutachtungsinstruments (NBA) dezidiert abfragen.
    Tatsache: Der Gutachter muss alle Kriterien des NBA bewerten und einschätzen. Wie er sich den persönlichen Eindruck allerdings verschafft, ist erst einmal seine Sache. Es gibt keine direkte Vorschrift, die besagt, dass der Gutachter den Fragenkatalog gemeinsam mit dem Pflegebedürftigen komplett durchgehen müsste.
    .
  5. Irrtum: Die Pflegekasse kann den Pflegegrad unabhängig vom Gutachters bestimmen.
    Immer noch behaupten manche Gutachter, dass gar nicht sie den Pflegegrad bestimmen würden, sondern die Pflegekasse.
    .
    Tatsache: Das stimmt so nicht. Die Pflegekasse folgt in aller Regel der Empfehlung des Gutachters. Wenn sie von dieser Empfehlung abweicht, dann kann sie dies problemlos zu Gunsten des Versicherten machen, etwa wen die Punktzahl sehr nah an einem höheren Pflegegrad liegt.
    Würde sie zum Nachteil des Versicherten abweichen, würde dies für die Kasse Ärger bedeuten.
    Insofern kann man durchaus behaupten, dass der Gutachter den Pflegegrad bestimmt.
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10 Jahre Pflegeberatung nach § 7a SGB XI

In diesem Jahr hat sich der Anspruch auf eine kostenlose Pflegeberatung zum 10. Mal gejährt.
Interessant ist, dass nach 10 Jahren und trotz der Verpflichtung der Kassen, die Versicherten auf den gesetzlichen Anspruch hinzuweisen, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI bei vielen Versicherten immer noch unbekannt ist.

Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI ist kostenlos. Dies liegt daran, dass eine Pflegeberatungen nach 7a im Auftrag (und auf Kosten) der Pflegekasse erfolgen muss. Dies ist gesetzlich so vorgeschrieben:

„(…) Anspruchsberechtigten soll durch die Pflegekassen vor der erstmaligen Beratung unverzüglich ein zuständiger Pflegeberater, eine zuständige Pflegeberaterin oder eine sonstige Beratungsstelle benannt werden. Für das Verfahren, die Durchführung und die Inhalte der Pflegeberatung sind die Richtlinien nach § 17 Absatz 1a maßgeblich.(…)“.

Das heißt, Pflegeberatungen nach § 7a SGB XI können ausschließlich durch Pflegeberater durchgeführt werden, die direkt von der Pflegekasse oder einem der Kooperationspartner der Pflegekassen, wie etwa SpektrumK oder MedicalContact, beauftragt werden.
Dies gilt auch für Pflegeberater, die – wie ich auch – über ein Zertifikat einer Weiterbildung als Pflegeberater nach § 7a SGB XI verfügen.

Trotzdem bieten diverse freiberufliche Pflegeberater „Pflegeberatung nach § 7a SGB XI“ an, obwohl sie diese in Eigenregie gar nicht erbringen (können). Denn Pflegeberatung nach § 7a SGB XI ist immer kostenlos.
Das ist bei den Pflegeberatungen der meisten Freiberuflern jedoch nicht der Fall.

Hinweis: Freiberufler, die ihre Dienstleistung als „Pflegeberatung nach § 7a SGB XI“ anbieten, aber nicht im Sinne des Gesetzes beraten und sich vom Kunden für ihre Beratung bezahlen lassen, werben mit irreführenden Angaben.
Denn eine Beratung nach § 7a SGB XI kann nur im Auftrag der Pflegekasse oder durch Beratungsstellen nach § 7b SGB XI sowie Pflegestützpunkte nach § 7c SGB XI erfolgen und ist immer kostenlos.
Wettbewerbsrechtlich ist diese irreführende Werbung verboten und kann mit Geld- und Freiheiststrafen geahndet werden.

Auch ich verfüge über ein Zertifikat als Pflegeberaterin nach § 7a SGB XI. Dennoch biete ich keine Pflegberatung nach § 7a SGB XI an.
Denn durch die Absolvierung der Weiterbildung wurde mir nur offiziell bestätigt, dass mein Wissen zum Zeitpunkt der Prüfung dem von den Pflegekassen geforderten Kenntnissen einer Pflegeberaterin entsprach.

Der Anspruch auf Pflegeberatung soll gewährleisten, dass die Pflegebedürftigen umfassende Unterstützung bei der Auswahl und Inanspruchnahme notwendiger Hilfe- und Pflegeleistungen erhalten.
Leider erschöpft sich die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI oftmals darin, dass die Pflegeberater Ansprüche aufzählen, Broschüren aushändigen und eventuell noch Hilfe bei Antragstellungen leisten. Ein Fallmanagement, also begleitende Hilfe, wie es vom Gesetzgeber ebenfalls vorgesehen ist, findet nur in seltenen Fällen (laut „Evaluationsbericht Pflegeberatung“ des GKV-Spitzenverbandes 15 %) statt.

Und genau darin liegt der Unterschied meiner kostenpflichtigen Pflegeberatung zu der kostenlosen Pflegeberatung der Pflegekassen.
Mein Interesse bei jeder individuellen Beratung liegt vor allem darin, meinem Kunden, also Ihnen, zu helfen. Ich unterstütze meine Kunden dabei, alle Ihre Ansprüche kennen zu lernen und auch wirksam geltend zu machen.
Sicher gibt es auch gute, kostenlose Pflegeberatung. Aber meine Erfahrung zeigt, dass die meisten meiner Kunden die kostenlose Pflegeberatung bereits genutzt haben, bevor sie zu mir kommen. Zumeist kann ich ganz anders helfen.
Ich kann sicher nicht alle Beratungen beurteilen, aber ich kann mit ihnen meine Erfahrungen der letzten 10 Jahre teilen:

  • Pflegeberater von Pflegekassen haben oftmals und verständlicherweise das Wohl ihres Arbeitgebers im Sinn.
    Für mich sind Sie der „Arbeitgeber“. Infolgedessen habe ich nur Ihr Wohl im Sinn.
  • Berater von Pflegestützpunkten wünschen sich vor allem hohe „Fallzahlen“, um sich und ihre Stelle zu rechtfertigen, weshalb jedes Telefonat als „Beratung“ in die Statistik aufgenommen wird.
    Mein Ziel ist es, jeden einzelnen Kunden zufrieden zu stellen. Das allerdings gelingt mir nicht, indem ich nur hohe Fallzahlen anstrebe.
  • Im Hinblick auf die oftmals kostenlose Pflegeberatung von Pflegediensten ist anzumerken, dass diese nicht selten darauf abzielt, Ihnen Pflegeleistungen zu verkaufen.
    Ich habe als unabhängige Pflegeberaterin kein Verkaufsinteresse, etwa an Pflege- oder Betreuungsleistungen.

Ich bin von Einrichtungen, Versicherungen oder sonstigen Dienstleistern in der Pflege unabhängig. Und genau deshalb kann ich mit meiner Dienstleistung nur bestehen, wenn mich der Kunde, dem ich mein gesamtes Wissen auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und gesetzlichen Vorgaben zur Verfügung stelle, für meine Dienstleistung entlohnt.
Und zahlreiche Kundenstimmen beweisen: wir alle haben etwas von meiner Unabhängigkeit: Sie als Kunde die beste Beratung und Begleitung, die Sie bekommen können und ich die Freiheit meine Dienstleistung genau auf die Bedürfnisse meiner Kundinnen und Kunden auszurichten.

Fazit: Ich habe das wissen, das ich zu einer Pflegeberatung nach § 7a SGB XI benötigen würde und kann dies auch nachweisen. Ich kann Ihnen als Freiberuflerin jedoch keine Pflegeberatung nach 7a anbieten, es sei denn Sie überreden Ihre Kasse, mich als Pflegeberaterin zu akzeptieren. Unabhängig davon kann ich – nicht zuletzt unter Hinweis auf die Kundenstimmen – behaupten, dass es sich für meine Kunden in der Regel auszahlt, in meinen Stundensatz zu investieren.

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Schon gewusst? Der Pflegegrad und die Begutachtungsfristen

Genau genommen hätte ich nicht gedacht, dass das Thema der Begutachtungsfristen noch aktuell ist. Leider zeigt sich aber, dass sich zumindest einige Pflegekassen nicht an der Begutachtungsfrist stören und ihren Versicherten munter mitteilen, dass es bis zur Begutachtung schon einmal sechs bis acht Wochen dauern könne, weil so viel zu tun sei.
was die Kassen bei ihren Gesprächen mit den Versicherten, bei denen sie auf die lange Dauer bis zum Bescheid hinweisen, jedoch geflissentlich vergessen, sind die eindeutigen Vorgaben des § 18 SGB XI.

Entscheidung innerhalb von 25 Arbeitstagen

In § 18 SGB XI ist einiges, für Versicherte Wissenswertes geregelt. Hier steht bspw., dass auf einen Antrag auf Feststellung oder Änderung eines Pflegegrades eine zeitnahe Begutachtung und Feststellung des Pflegeumfangs erfolgen muss. Die Entscheidung über den Leistungsanspruch soll spätestens innerhalb von 25 Arbeitstagen erfolgen.

Verkürzte Fristen

In bestimmten Situationen gelten sogar kürzere Fristen. Wenn sich der Antragsteller in einem Krankenhaus oder einer stationären Rehabilitationseinrichtung befindet und

  1. Hinweise vorliegen, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erforderlich ist,
    oder
  2. die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz gegenüber dem Arbeitgeber der pflegenden Person angekündigt wurde,
    oder
  3. mit dem Arbeitgeber der pflegenden Person eine Familienpflegezeit nach § 2 Absatz 1 des Familienpflegezeitgesetzes vereinbart wurde,

muss die Begutachtung unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchgeführt werden. Diese Frist kann durch regionale Vereinbarungen nur verkürzt werden.
Die verkürzte Begutachtungsfrist von einer Woche gilt auch dann, wenn der Antragsteller sich in einem Hospiz befindet oder ambulant palliativ versorgt wird.

Wenn der Pflegebedürftige Zuhause ist und nicht palliativ versorgt wird, der pflegende Angehörige aber die Inanspruchnahme von Pflegezeit nach dem Pflegezeitgesetz angekündigt oder Familienpflegezeit vereinbart hat, muss die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse erfolgen.

Der MDK hat zu viel zu tun

Die Argumentation der Pflegekassen, dass es sich mit der Entscheidung über den Antrag auf einen (höheren) Pflegegrad hinziehen kann, beinhaltet zumeist den Hinweis, dass der Medizinische Dienst der Krankenversicherung so viel zu tun habe….

Auch hier bietet das Gesetz Abhilfe. Denn die Pflegekasse ist verpflichtet, wenn innerhalb von 20 Arbeitstagen ab Antragstellung keine Begutachtung erfolgt ist, dem Antragsteller mindestens drei unabhängige Gutachter zur Auswahl zu benennen.
Der Pflegebedürftige kann aus diesen drei Gutachtern einen Gutachter auswählen, der dann von der Pflegekasse auch eingesetzt werden muss.
Einzige Voraussetzung ist, dass der Antragsteller seine Entscheidung innerhalb einer Woche ab der er Kenntnis von den Namen der Gutachter erhalten hat, der Pflegekasse seine Entscheidung mitteilt. Verpasst der Versicherte diese Frist, kann die Pflegekasse einen Gutachter aus der übersandten Liste beauftragen.

Wenn gar nichts hilft, dann helfen Strafzahlungen

Wenn die Pflegekasse den schriftlichen Bescheid über den Antrag nicht innerhalb der vorgegebenen 25 Arbeitstage erteilt oder eine der verkürzten Begutachtungsfristen nicht einhält, muss sie nach Fristablauf für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung 70 Euro an den Versicherten zahlen.
Eine Ausnahme besteht allerdings: wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat oder wenn sich der Antragsteller in vollstationärer Pflege befindet und bereits bei ihm mindestens erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten (mindestens Pflegegrad 2) festgestellt wurde.
Diese Regelungen gelten übrigens auch für die privaten Kranken- und Pflegekassen, die die private Pflege-Pflichtversicherung durchführen.

So, und jetzt wissen Sie hoffentlich, wie Sie reagieren, wenn Ihnen Ihre Pflegekasse erklärt, das mit der Begutachtung könne aber dauern… 😉

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Elektrorollstuhl und Fahrtauglichkeitsnachweis

Ein Elektrorollstuhl kann für Menschen mit Behinderung eine tolle Hilfe sein, um slebstständig am sozialen Leben teilzunehmen.
Allerdings verlangen manche Krankenkassen vor der Leistungsgewährung von ihren Versicherten eine Fahrtauglichkeitsprüfung, die sie beim TÜV absolvieren müssen. Besteht der Versicherte diese Prüfung nicht, erhält er auch keinen Elektrorollstuhl. Denn Elektrorollstühle sind genau genommen Kraftfahrzeuge.

Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V.  (BVKM) bietet auf seiner Internetseite für Betroffene eine Argumentationshilfe, in der erklärt wird, welche Gründe gegen eine Begutachtung durch den TÜV angeführt werden können.

Tipp: Die Argumentationshilfe können Sie unter dem nachfolgenden Link direkt von der Seite des BVKM herunterladen: Argumentationshilfe gegen die TÜV-Prüfung bei der Versorgung mit einem Elektrorollstuhl

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SG Frankfurt (Oder), Gerichtsbescheid vom 08.05.2019 – S 49 SF 8/19

Im Namen des Volkes

Gerichtsbescheid

In dem Rechtsstreit

– Antragsteller –

gegen

Bundesbeauftragte für Datenschutz und die Informationsfreiheit,

Husarenstraße 30, 53117 Bonn,

– Antragsgegner –

hat die 49. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) am 08. Mai 2019 durch … für Recht erkannt:

Tenor

Die Klage wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

I.

Die Kläger begehren von dem Beklagten im Klageweg ein Einschreiten gegen behauptete Datenrechtsverstöße des Jobcenters … um ihnen Auskunft über den Zugriff auf ihre Daten durch andere Stellen zu ermöglichen.

Der am … geborene Kläger zu 1), die am … geborene Klägerin zu 2) und ihr gemeinsamer Sohn, geboren am … bilden eine Bedarfsgemeinschaft und beziehen von dem Beklagte ergänzend Grundsicherungsleistungen nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die Kläger hatten erstmalig am 17.01.2018 bei dem Beklagten eine rechtliche Überprüfung der Weigerung des Jobcenters auf Auskunftserteilung sowie Auskunft über ev. Empfänger von Datenübermittlungen (an Dritte) beantragt.

In der Folgezeit erfolgte eine umfangreiche Korrespondenz zwischen den Klägern, dem Jobcenter und dem Beklagten. Der Beklagte hatte nach einer eingeholten Stellungnahme des Jobcenters mit Schreiben vom 15.08.2018 den Klägern Hinweise erteilt und das Jobcenter mit Schreiben vom gleichen Tag auf die neue Rechtslage nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hingewiesen und auf den Anspruch der Kläger auf eine schriftliche oder elektronische Auskunftserteilung nach Art. 15 Abs. 3, 12 Abs. 1 DSGVO, wobei eine Einsichtnahme in die Akten nur auf Wunsch oder Vereinbarung erfolgen könne.

Das Jobcenter hatte den Klägern daraufhin einen EDV-Ausdruck ihrer Daten übermittelt, der mit dem Datum 04.11.2012 endete und von denen die Kläger davon ausgehen, dass diese falsche Daten enthalte und unvollständig sei.

Deswegen hatten sich die Kläger erneut an den Beklagten gewandt. Mit Schreiben vom 19.12.2018 hat der Beklagte die Kläger (wiederholt) darauf hingewiesen, dass sich ein Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 c DSGVO nicht auf die Mitarbeiter des Jobcenters selbst beziehe, weil diese Teil des Jobcenters sind und damit Teil des Verantwortlichen i.S. des Art. 4 N. 7 DSGVO.

Mit Schreiben vom 19.12.2018 legten die Kläger nunmehr dar, dass es sich nicht um Auskünfte über die Mitarbeiter des Jobcenters handele. Der Beklagte wies die Kläger zuletzt mit Schreiben vom 04.01.2019 darauf hin, dass sie grundsätzlich ihre Ansprüche auf Auskunft bei dem Jobcenter geltend machen müssten.

Mit der am 17.01.2019 bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) eingegangenen Klage begehren die Kläger ein weiteres Vorgehen des Beklagten gegen das Jobcenter.

Mit gerichtlichem Hinweis vom 27.02.2019 (Bl. 168 GA) wurden die Kläger darauf hingewiesen, dass die von ihnen erhobene Klage unzulässig ist.

Mit dem Schreiben vom 29.04.2019 tragen die Kläger vor, dass das Jobcenter (weiterhin) und neue – im einzelnen dargelegte – unwahre Tatsachen behaupte, die der Untersuchung bedürften. Ferner habe das Jobcenter auch ein neues Auskunftsersuchen nach Art. 15 DSGVO vom 13.03.2019 bislang nicht beantwortet.

Die Kläger beantragen (sinngemäß),

den Beklagten zu verurteilen, gegen die Datenrechtsverstöße des Jobcenters … einzuschreiten um ihnen Auskunft über den Zugriff auf ihre Daten durch andere Stellen zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu der Akte gereichten Schriftsätze und Unterlagen verwiesen.

II.

Die Kammer durfte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich zu dieser Entscheidungsform zu äußern.

Die Klage ist bereits unzulässig, denn für das Begehren der Kläger fehlt es ungeachtet der Frage, ob hierfür das Sozialgericht funktional zuständig ist, an jedweder Anspruchsgrundlage.

Weder aus den Vorschriften des Sozialrechts (§§ 25, 83 SGB X) noch insbesondere aus der Datenschutz-Grundverordnung ist ein individueller Anspruch eines Bürgers gegen den Beklagten auf die Vornahme einer bestimmten Maßnahme herleitbar.

Zwar besteht aus Art 78 Absatz 2 DSGVO ein Klagerecht dem Grunde nach. Im Falle einer Beschwerde bei dem Beklagten nach § 77 DSGVO ist der Klagegrund indes beschränkt darauf, dass der Beklagte länger als drei Monate untätig geblieben sei mit der Mitteilung über das Ergebnis der Beschwerde. Dies ist hier jedoch weder Klagegegenstand, noch liegt oder lag eine dahingehende Untätigkeit vor.

Nach Art. 77 Abs. 1 DSGVO hat jede betroffene Person das Recht auf Beschwerde bei einer Aufsichtsbehörde, wenn diese der Ansicht ist, dass die Verarbeitung der sie betreffenden Daten gegen die DSGVO verstößt. Der Beklagte ist aufgrund dieser Vorschrift alleine verpflichtet, sich mit einer Beschwerde zu befassen, soweit sie nicht offensichtlich unbegründet oder exzessiv ist und den Gegenstand der Beschwerde zu untersuchen und den Beschwerdeführer über den Fortgang und das Ergebnis der Untersuchung zu unterrichten. Eine weitergehende Verpflichtung besteht grundsätzlich nicht. In der Rechtsprechung wird daher das Beschwerderecht nach Art 77 DSGVO als Petitionsrecht verstanden, vgl. Beschluss des VG Berlin vom 28.01.2019, Az: VG 1 L 1.19.

Diesem Anspruch ist der Beklagte vollumfänglich nachgekommen. Eine Verurteilung zu einer aufsichtsrechtlichen Maßnahme gegen das Jobcenter kann das Gericht den Beklagten nicht verurteilen. Dies ist aus der DSGVO nicht herleitbar.

Auf das weitere Vorbringen der Kläger kommt es daher nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Streitwert für das Verfahren – da es sich nicht um ein privilegiertes Verfahren handelt, § 197a SGG – wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

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Wann die Kasse die Taxifahrt zum Arzt zahlt

Es gibt ihn schon immer irgendwie, den so ganannten „Taxischein“ für die Fahrt zum Arzt. Er wird vom behandelnden Arzt als Verordnung ausgestellt. Allerdings war die Kostenübernahme bis vor kurzem noch schwierig. Bevor man die vom Arzt verordnete Taxifahrt nutzen konnte, musste die Kostenübernahme von der Krankenkasse bestätigt werden. Der Versicherte musste also vor Fahrtantritt einen Antrag bei der Kasse stellen.

Das hat sich nun geändert. Für Versicherte, die eine außergewöhnliche Gehbehinderung haben (Merkzeichen „aG“ im Schwerbehindertenausweis) und Blinde gelten die Taxifahrten mit der Verordnung durch den Arzt grundsätzlich als genehmigt. Dies gilt auch für Versicherte mit Pflegegrad 3 und dem Merkzeichen „aG“, sowie grundsätzlich für Versicherte mit dem Pflegegrad 4 oder dem Pflegegrad 5.

Das erleichtert nun manchem Behinderten und / oder Pflegebedürftigem den Arztbesuch.

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